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The Ugly Stepsister

Im Kino: Wer schön sein will, muss leiden. Emilie Blichfeldt buchstabiert dieses Sprichwort schmerzhaft aus und hinterfragt es zugleich.

Emilie Blichfeldt nimmt sich den Märchenklassiker „Aschenputtel“ vor und verpasst ihm eine erfrischend garstige Note. Erzählt wird die Neuinterpretation vorrangig aus der Perspektive einer Figur, die im Original eine Nebenrolle spielt. Insbesondere bei bereits bekannten Geschichten ein beliebter Ansatz. In diesem Fall jedoch von anderer Qualität, da der Perspektivwechsel radikale Gesellschaftskritik betreibt.

Angesiedelt in einem fiktiven Königreich namens Swedlandia irgendwann im 19. Jahrhundert taucht „The Ugly Stepsister“ in das Leben der jungen Elvira ein. Auf der Suche nach Absicherung vermählt sich ihre Mutter Rebekka mit dem Witwer Otto, bei dem sie mit Elvira und deren Schwester Alma einzieht. Bereits am Hochzeitsabend stirbt der Bräutigam auf makabre Weise. Weil er, anders als vermutet, mittelos ist, sorgt sich Rebekka erneut um die Zukunft der Familie.

Die Lösung des Problems: Elvira soll auf dem anstehenden Ball Prinz Julian becircen und den begehrten Junggesellen so schnell wie möglich ehelichen. Mit Ottos Tochter Agnes, alias Aschenputtel, befindet sich allerdings eine hübsche Konkurrentin im selben Haus. Um die vermeintlich hässliche Elvira „heiratsfähig“ zu machen, schleppt Rebekka sie zu einem Chirurgen, der mit einer „Verschönerung“ der Nase anfängt.

Oberflächlich betrachtet könnte man die Protagonistin als völlig naiv und verblendet abtun. Noch bevor ihre Mutter die Heiratspläne mit Julian schmiedet, schwärmt Elvira für den Prinzen – was die Regisseurin in betont kitschigen, rosafarbenen Tagträumen visualisiert. Selbst als sich der Adelige bei einer Begegnung im Wald als Sexist entpuppt, hält sie an ihren romantischen Vorstellungen fest. Mehr noch: Bis kurz vor Schluss ist sie zu allem bereit, um ihn für sich einzunehmen. Einen langsamen Wandel, wie ihn Filmcharaktere im Unterhaltungskino gewöhnlich durchlaufen, gibt es bei Elvira nicht. Die Erkenntnis, dass ihr Streben toxisch ist, überfällt sie vielmehr schockartig und setzt sich erst mit Hilfe von außen durch.

Verrät Emilie Blichfeldt damit ihre Hauptfigur? Keineswegs! Denn wichtig ist der Filmemacherin vor allem, zu zeigen, wie stark patriarchale Systeme gerade auf junge Frauen einwirken. Die Gesellschaft, in der Elvira aufwächst, hat klare Ideen von Schönheit und Anmut, die das Selbstbild, das Gefühl für den eigenen Körper massiv beeinflussen. Verdammt schwer ist es da, gegen Konventionen, gegen den Erwartungsdruck der Umwelt zu rebellieren. Erst recht, wenn die eigene Mutter die misogynen Strukturen und Mechanismen verinnerlicht hat und weiterträgt.

Rebekka ist eine von vielen, die hier das System stützen. Die junge Frauen zu Objekten degradieren, die ihnen alle möglichen rabiaten „Verbesserungen“ aufzwingen. Operationen, die Blichfeldt bewusst – und erstaunlich drastisch – mit den Mitteln des Body-Horrors inszeniert. Wenn Elvira zum Beispiel künstliche Wimpern angenäht werden und der Faden unerbittlich durch die Haut ratscht, sollen wir spüren, wie sie die Attacke auf ihren Körper empfindet.

Dass Elvira und ihre Altersgenossinnen nicht aus der Rolle fallen dürfen, unterstreicht „The Ugly Stepsister“ sehr anschaulich beim Tanz- und Benimmtraining für den Ball. Wer Regeln missachtet, keine gute Figur macht, wird rücksichtslos auf Linie gebracht oder aussortiert. Kleine Schlupflöcher gibt es nur dann, wenn man die Ordnung nicht offen infrage stellt. Interessanterweise scheint ausgerechnet die so unnachgiebige Tanzlehrerin heimlich ein Liebesverhältnis mit einer Frau zu haben.

Einen Platz jenseits der rigorosen Normen nimmt Elviras jüngere Schwester Alma ein, die der Film zwischen den Zeilen als queer codiert. Eine spannende Figur, die im Finale eine bedeutende Funktion innehat. Umso unverständlicher, dass sie lange Zeit nur im Hintergrund agieren darf, keinen richtigen Entfaltungsraum bekommt.

Abgesehen von diesem Kritikpunkt erweist sich „The Ugly Stepsister“ als bemerkenswerte Debütarbeit, die Unterhaltung mit schwarzhumorigen Spitzen und kritische Reflexion gekonnt ausbalanciert. Überzeugend ist nicht zuletzt die formale Gestaltung: Erdige Bilder, die an den Look alter osteuropäischer Märchenfilme erinnern, vermischen sich mit surrealen Momenten. Und immer wieder baut die Regisseurin kleine Anspielungen und Verweise ein – unter anderem erklingt an einer Stelle das berühmte musikalische Leitmotiv aus dem Weihnachtsklassiker „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ (Václav Vorlíček, 1973), allerdings in gruselig verfremdeter Form. Schließlich will „The Ugly Stepsister“ die sorglose Gefühlsduselei anderer Aschenputtel-Varianten aufbrechen und zertrümmern.

Christopher Diekhaus

© capelight pictures
16+

Den stygge stesøsteren - Norwegen, Polen, Schweden, Dänemark 2025, Regie: Emilie Blichfeldt, Kinostart: 20.05.2025, FSK: ab 16, Empfehlung: ab 16 Jahren, Laufzeit: 109 Min., Buch: Emilie Blichfeldt, Kamera: Marcel Zyskind, Musik: Vilde Tuv, John Erik Kaada, Schnitt: Olivia Neergaard-Holm, Produktion: Maria Ekerhovd, Verleih: capelight pictures, Besetzung: Lea Myren (Elvira), Ane Dahl Torp (Rebekka), Thea Sofie Loch Næss (Agnes), Flo Fagerli (Alma), Isac Calmroth (Prinz Julian), Ralph Carlsson (Otto) u. a.

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