Die Legende von Ochi
Im Kino: Fantasy-Abenteuer über die Angst vor dem Fremden mit tollen Landschaftsbildern und schönen Trickeffekten.
Fantasy-Filme nach beliebten Romanreihen gibt es zuhauf. Vor kurzem erschien etwa die internationale Koproduktion „Woodwalkers“ (Damian John Harper, 2024), die auf den Büchern der deutschen Schriftstellerin Katja Brandis basiert. Verwunschene Abenteuergeschichten ohne literarische Vorlagen haben es dagegen oftmals schwer. Denn wo es keine bereits existierende Fanbase gibt, ist ein Erfolg an den Kinokassen höchst ungewiss. Umso schöner, wenn es dennoch ab und an ein originärer Fantasy-Stoff auf die Leinwand schafft. Ein Werk wie „Die Legende von Ochi“, mit dem der US-amerikanische Musikvideoregisseur Isaiah Saxon sein Spielfilmdebüt abliefert.
Hauptdarstellerin seines Erstlings ist die deutsche Nachwuchsdarstellerin Helena Zengel, die durch ihre eindringliche Performance in Nora Fingscheidts Sozialdrama „Systemsprenger“ bereits 2019 für Furore sorgen konnte. Nach einem Auftritt im Western „Neues aus der Welt“ (Paul Greengrass, 2020) an der Seite von Hollywood-Star Tom Hanks nimmt ihre internationale Karriere nun offenbar richtig Fahrt auf. Im Mai 2025 starteten mit „Die Legende von Ochi“ und „Transamazonia“ (Pia Marais, 2024) hierzulande gleich zwei fremdsprachige Produktionen, in denen Zengel im Zentrum des Geschehens steht.
Bei Isaiah Saxon verkörpert sie eine Teenagerin namens Yuri, die auf einer von der Landwirtschaft geprägten Insel im Schwarzen Meer lebt. Die Zeit scheint an diesem fiktiven Ort mit seinen verwitterten Häusern und seinen verrosteten Autos stehen geblieben zu sein. Was schon früh auffällt: Der Film verbindet einen erdigen, rauen Look mit einer märchenhaften Stimmung. In den Wäldern hausen die sogenannten Ochis, affenartige, zottelige Fabelwesen mit blauen Gesichtern, die über mysteriöse Pfeiflaute kommunizieren.
Von klein auf, so sagt es Yuri zu Anfang, habe sie gelernt, sich vor diesen gefährlichen Geschöpfen in Acht zu nehmen. Ihr Vater Maxim, den Charakterkopf Willem Dafoe mit großer Inbrunst spielt, hegt eine abgrundtiefe Abneigung gegen die Ochis, da er sie für die Zerstörung seiner Familie verantwortlich macht. Häufig versammelt er eine Horde Jungs um sich und treibt sie zur Jagd auf die angeblich bösen Kreaturen an.
Yuri folgt seinen Regeln und Geboten bis zu dem Moment, in dem sie einen verletzten Baby-Ochi findet. Plötzlich steht alles, was sie bisher zu wissen glaubte, auf dem Prüfstand. Denn das Kerlchen ist keineswegs so grausam, wie es immer heißt. Für die Jugendliche Grund genug, Reißaus zu nehmen und den Kleinen zu seinen Artgenossen zurückzubringen.
Vermeintliche Gewissheiten zu hinterfragen, aufeinander zuzugehen, Unbekanntes nicht zu verteufeln – davon erzählt Isaiah Saxon in seinem Fantasy-Märchen, das Yuri auf eine abenteuerliche Erkenntnisreise schickt. Aufgewachsen mit der starren Sicht ihres Vaters, gewinnt die Protagonistin auf einmal einen völlig anderen Blick auf die Ochis und ihre eigene Familiengeschichte. Ein spannender Prozess, den der Debütregisseur allerdings nicht immer im Griff hat. Das Handeln der Erwachsenen ist, vor allem für junge Zuschauer*innen, manchmal schwer zu durchschauen. Und insgesamt könnten die Nebencharaktere ein wenig plastischer sein. Die Schwächen im Drehbuch sind dann auch der Grund, warum das Ende trotz einer wertvollen Verständigungsbotschaft nicht ganz so berührend ausfällt wie gewünscht.
Gleichzeitig nimmt Saxons erster Spielfilm aber mit seiner eigenwilligen, teils erstaunlich düsteren Stimmung und seinen tollen Landschaftsbildern gefangen. Die Natur – gedreht wurde in Rumänien – ist nicht bloß Hintergrund, sondern spielt eine wichtige Rolle für die Geschichte und Yuris Entwicklung. Keine Frage, die vom Regisseur erdachte Welt steckt voller skurriler Details.
Ein kleine Besonderheit ist „Die Legende von Ochi“ schon deshalb, weil sich das Fantasy-Abenteuer von den heutigen Computerexzessen im Genre abhebt. Statt digitaler Geschöpfe bekommen wir in vielen Szenen animatronische Puppen zu sehen. Helena Zengel selbst zeigte sich in Interviews begeistert über diese Entscheidung. Denn für Darsteller*innen ist es immer einfacher, wenn sie konkrete Anspielpartner*innen haben und nicht allein vor einem Green- oder Bluescreen agieren. Auch die Zuschauer*innen profitieren. Wirkt das Ergebnis doch meistens glaubwürdiger, als wenn man im Nachhinein digitale Figuren in die Bilder einarbeiten muss.
Christopher Diekhaus
The Legend of Ochi - USA 2025, Regie: Isaiah Saxon, Kinostart: 22.05.2025, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 12 Jahren, Laufzeit: 96 Min. Buch: Isaiah Saxon. Kamera: Evan Prosofsky. Musik: David Longstreth. Schnitt: Paul Rogers. Produktion: Traci Carlson, Richard Peete, Isaiah Saxon, Jonathan Wang. Verleih: Plaion Pictures. Besetzung: Helena Zengel (Yuri), Willem Dafoe (Maxim), Emily Watson (Dasha), Finn Wolfhard (Petro), Carol Borş (Oleg), Răzvan Stoica (Ivan) u. a.





