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Der Brotverdiener

Als Mädchen hat Parvana unter der Talibanherrschaft keine Rechte. Nachdem ihr Vater verschleppt wird, fasst sie einen Entschluss.

Geschichten spielen eine wichtige Rolle im Leben von Parvana. Die Mutter des elfjährigen Mädchens ist Schriftstellerin, ihr Vater erzählt ihr die Geschichte ihres Heimatlandes – und sie selbst wiederum wird später zur Erzählerin werden, um ihrem jüngeren Bruder Mut zu machen und ihn abzulenken. Als Parvanas Vater, ein ehemaliger Lehrer, von den Taliban verhaftet und in ein Gefängnis außerhalb Kabuls gebracht wird, befinden sich Parvana, ihre Mutter, ihre ältere Schwester und der kleine Bruder in einer schwierigen Lage. Denn die Taliban verbieten Frauen, ohne männliche Begleitung das Haus zu verlassen. Als Parvana auf dem Markt Lebensmittel kaufen will, bedient man sie nicht und lacht sie aus. Auch ein Versuch, Parvanas Vater im Gefängnis zu besuchen und dort für seine Freilassung zu plädieren, scheitert. Noch auf dem Weg werden Parvana und ihre Mutter von Taliban aufgegriffen. Dabei wird Parvanas Mutter von den Männern geschlagen und schwer verletzt. So fasst Parvana eines Tages einen weitreichenden Entschluss. Sie schneidet sich die Haare ab, sodass sie auf den ersten Blick nicht mehr als Mädchen zu erkennen ist, und wagt sich auf die Straße, um Geld für die Familie zu verdienen.

Es ist ein harter Stoff, den Nora Twomey hier nach dem Roman „Die Sonne im Gesicht“ von Deborah Ellis als klassischen Zeichentrick verfilmt hat. Und Twomey beschönigt nichts. Bitter lässt sie spürbar werden, wie die Rechte von Frauen missachtet werden, erzählt von Ausgrenzungen, von Zwangsverheiratungen aus Not und Verzweiflung, von Ehen sehr alter Männer mit sehr jungen Frauen. Ohnehin bestimmt ein Klima der Gewalt den gesamten Film. Auch wenn die physische Gewalt außerhalb des Bildes stattfindet, so ist sie doch deutlich zu hören oder ihre Folgen sind zu sehen: die blauen Flecken der Mutter nach dem Talibanüberfall, blutende Menschen nach einem Massaker in einem Gefängnis, Berichte über Missbrauch. Immer wieder konfrontiert Twomey das Publikum mit schockierenden Situationen – wobei diese bisweilen noch intensiver wirken, wenn Kontextwissen vorhanden ist, um die Leerstellen zu füllen. Denn die historischen Rahmenbedingungen streift „Der Brotverdiener“ nur am Rande.

Nur in Kurzform wird zu Beginn die Geschichte Afghanistans in einer kunstvollen Animation zum Leben erweckt, in einem komprimierten Schnelldurchlauf fasst Parvanas Vater als Erzähler Kriege und Machtverschiebungen im Laufe der Zeit zusammen. Viel präsenter allerdings ist im Anschluss die belastende Situation von Parvanas Familie und vor allem die Ungerechtigkeit, der diese im Jahr 2001 in Afghanistan, kurz vor dem Einmarsch der USA, ausgesetzt ist. So funktioniert „Der Brotverdiener“ für ein jüngeres Publikum insbesondere über die Identifikation mit Parvana. Es fühlt sich falsch an, dass sie aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert wird und sich deshalb verkleiden muss, um akzeptiert und beachtet zu werden, die Verschleppung des Vaters wirkt willkürlich und gerade deshalb so bedrohlich.

Und doch gibt Parvana nicht auf. In der gleichaltrigen Shauzia findet sie eine Verbündete, die ihr Schicksal teilt. Auch Shauzia hat sich die Haare kurz geschnitten und tritt als Junge auf, um Geld verdienen zu können – doch ihr Ziel ist weniger die Versorgung ihrer Familie als die Flucht vor ihrem Vater. Gemeinsam mit Shauzia rebelliert Parvana gegen ein übermächtiges System und erkämpft sich trickreich ihre Freiheiten. Gerade weil Parvana nicht passiv bleibt, sondern handelt, wird sie zu einer eindrucksvollen und mutigen Protagonistin. Wunder vollbringen kann sie dennoch nicht. Dafür ist der Film zu geerdet.

„Der Brotverdiener“ unterscheidet sich deutlich von den anderen Produktionen aus dem irischen Animationsstudio Cartoon Saloon. Den Formenspielen von Tomm Moore, mit dem Twomey 2009 als Ko-Regisseurin „Das Geheimnis von Kells“ inszeniert hat, stellt Twomey nun einen bedrückenden Realismus in klarem Zeichenstil und mit gedämpften Farben gegenüber – wenngleich auch dieser immer wieder in fantastischen Sequenzen durchbrochen wird, wenn Parvana ihrem jüngeren Bruder sowie Shauzia die mythische Geschichte eines Jungen erzählt, der gewitzt gegen einen Elefantenkönig kämpft. Weniger dramatisch als die realen Szenen sind zwar auch diese Geschichten nicht. Aber durch diese gelingt es Parvana, ihre Situation in Worte und Bilder zu fassen, während sie zugleich wieder mehr Kontrolle erlebt. Sie sind Manifeste der Selbstermächtigung. Und letztlich auch der Trauerarbeit. Zunehmend flechtet Parvana die Erinnerung an einen verstorbenen Bruder in ihre fiktive Geschichte ein und spricht zum ersten Mal aus, was sie bis dahin immer verdrängt hat.

Stefan Stiletto

© Pandastorm
13+

Kanada, Irland, Luxemburg 2017, Regie: Nora Twomey, Homevideostart: 23.05.2025, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 13 Jahren, Laufzeit: 94 Min., Buch: Anita Doron, Deborah Ellis, nach dem Roman „Die Sonne im Gesicht“ von Deborah Ellis, Kamera: Sheldon Lisoy, Musik: Mychael Danna, Jeff Danna, Schnitt: Darragh Byrne, Produktion: Anthony Leo, Tomm Moore, Andrew Rosen, Paul Young, Verleih: Pandastorm

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