Mit der Faust in die Welt schlagen
Im Kino: Zwei Brüder aus Ostsachsen und das Gefühl des Auf-Der-Strecke-Bleibens. Ein Grund für ihre Rechtsradikalisierung?
Philipp und Tobi umgibt Trostlosigkeit. Mitte der 2000er ist der Alltag der beiden Jungen, die in einer der ländlichen Umgebungen Ostdeutschlands aufwachsen, von Verlust und Angst geprägt. Angst vor dem sozialen Abstieg, Angst vor der scheiternden Ehe ihrer Eltern, Angst vor dem Jetzt und Angst vor der Zukunft. Im Laufe des Films werden sich Philipp und Tobi rechtsextrem radikalisieren. So wie es in den 2000er und 2010er Jahren auch viele andere Menschen in deutschen Landstrichen getan haben.
„Mit der Faust in die Welt schlagen“, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Lukas Rietzschel, hat sich selbst eine schwierige Aufgabe gestellt: Systematisch präsentiert der Film Faktoren, die dazu beitragen (können), einen Menschen für rechtsextreme Ideologien anfällig zu machen. Unter anderem wird die nicht gelungene Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen in und nach der DDR thematisiert, der sozial-ökonomische Abstieg vieler Familien nach der Wende bzw. die Angst davor, in Kombination mit Neid auf diejenigen, die es scheinbar besser haben. Wir treffen auf Eltern, die nicht gesund miteinander kommunizieren können und somit ihre Beziehung immer mehr vor die Wand fahren. Eltern, die von der Arbeit und ihren eigenen Problemen so erschöpft sind, dass sie den Draht zu ihren Kindern verlieren. Diese Kinder wandern einsam und emotional verwahrlost durch die Ruinen und können scheinbar nur dann Glück empfinden, wenn sie etwas kaputt machen. Boys will be boys? Philipp und Tobi erscheinen jedenfalls als besonders empfänglich für die Manipulationen bereits rechtsextremer Jugendlicher, die mit der vorhersehbaren Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche die einsamen Brüder an sich binden und in immer gewalttätigere, immer offener rassistisch motivierte Eskalationen hineinziehen.
Inszeniert wird dies in Bildern, die nicht die Gewalt, sondern die ländlich-ruinöse Atmosphäre des ostdeutschen Dorfs gekonnt in Szene setzen. Begleitet werden diese von einem Soundtrack, der virtuos zwischen Nichts und Zu Viel pendelt.
Doch was genau bleibt nach dem Schauen des Films? Schon bei Lukas Rietzschels Werk ist klar, dass dieses um Verständnis ringt, und zwar um Verständnis für eine Generation, die die AfD in diesem Jahr zur stärksten Kraft Ostdeutschlands gewählt hat. Rietzschel hat nach eigenen Angaben viel aus seiner eigenen Kindheit eingebracht, weil er die wachsende Rechtsradikalisierung seiner Altersgenossen mit Erschrecken beobachtet hat und sich einen Reim darauf machen wollte. Aber genau dieses Ringen um Verständnis, das auch den Film kennzeichnet, mündet leider in eine Erzählweise, die die Rechtsradikalisierung seiner beiden Protagonisten hier wie durch Schicksal vorherbestimmt erscheinen lässt. Philip und Tobi haben keinerlei Agency: Dinge passieren ihnen, sie werden mitgerissen und geformt, offenbar unfähig zu auch nur einem kritischen Gedanken, der über eine vage Scham ob des Worts „Nazi“ hinausgeht.
„Mit der Faust in die Welt schlagen“ ist eine scharfe Milieustudie, die so verzweifelt darauf aus ist, Antworten zu finden und zu liefern, dass sie quasi durch die Hintertür eine Schicksalhaftigkeit einlässt, die das Problem am Ende doch zu stark vereinfacht. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen bietet der sehenswert inszenierte Film viel Anlass zum Nachdenken und Diskutieren.
Len Klapdor
Deutschland 2025, Regie: Constanze Klaue, Kinostart: 03.04.2025, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 16 Jahren, Laufzeit: 110 Min., Buch: Conszanze Klaue, Andreas Dresen, nach dem gleichnamigen Roman von Lukas Rietzschel, Kamera: Florian Brückner, Musik: PC Nackt, Schnitt: Emma Gräf, Andreas Wodraschke, Produktion: Chromosom Film, Flare Film, Verleih: Across Nations, Besetzung: Anton Franke (Philipp Zschornack), Camille Loup Moltzen (Tobi Zschornack), Anja Schneider (Sabina Zschornack), Christian Nähte (Stefan Zschornack), Moritz Hoyer (Ramon) u. a.



