Geschichten aus dem Zaubergarten
Entdeckt bei der Berlinale: Vier Regisseure animieren drei Geschichten aus dem Buch von Arnošt Goldflam. Höchste Animationskunst.
Zum Leben gehören leider auch unerwünschte Ereignisse wie etwa Tod und Trauer. Davon handeln die Kurzgeschichten „Of unwanted things and people“ des Buchautors Arnošt Goldflam, der dem Großvater in der tschechischen Originalfassung des Stopmotion-Animationsfilms „Tales from the Magic Garden“ seine Stimme leiht. Gleich vier Regisseure aus vier Ländern haben drei Geschichten aus dem Buch animiert und fein abgestimmt mit einer Rahmenhandlung versehen. Im besten Sinn des Wortes „altmodisch“, knüpfen sie an die besten Traditionen des tschechoslowakischen Kinderfilms vor der Wendezeit an. Ihr unabhängig voneinander entstandenes, ästhetisch beeindruckendes Gemeinschaftswerk ist ein überzeugender Beleg dafür, wie wichtig fantasievolle Geschichten für Kinder sind und wie sie sogar heilende Kräfte stimulieren können. Das mag in ähnlicher Weise auch für Erwachsene gelten, die mit dem Film - insbesondere mit der dritten Geschichte - gleichermaßen angesprochen werden.
Kurz nach dem Tod ihrer Großmutter besuchen der vierjährige Tom, die achtjährige Suzanne und der elfjährige Derek ihren Großvater, denn die Mutter muss dringend verreisen und kann sich nicht um die Kinder kümmern. Die Stimmung im Haus ist gedrückt und der Großvater ganz anders, als die Kinder ihn kurz zuvor noch erlebt hatten. Ihnen wird der Verlust der geliebten Oma besonders schmerzhaft bewusst, als Tom ohne ihre gewohnten Gute-Nacht-Geschichten nicht einschlafen kann. Nicht zuletzt als begnadete Geschichtenerzählerin hinterlässt sie eine große Lücke. Da kommt Suzanne auf die Idee, das Erbe ihrer Großmutter fortzuführen. Mit anfangs noch skeptischer Unterstützung ihrer Brüder beginnt sie, sich selbst Geschichten auszudenken. Dazu benötigt sie den alten Strohhut der Großmutter und zwei Zutaten beziehungsweise Ideen, vermischt mit einer gehörigen Portion Fantasie und Magie. Suzanne verspricht ihrem kleinen Bruder, dass die Geschichten zwar auch traurig sind, aber in jedem Fall einen guten Ausgang haben werden.
Das gilt vor allem für die erste Geschichte, die sich Suzanne speziell für Tom ausdenkt. Zwei Geschwister, ein Junge und ein Mädchen, haben eine abgemagerte, vom Regen völlig durchnässte Katze nach Hause gebracht und wollen sie unbedingt behalten. Die Eltern sind gerade auf dem Sprung zu einem Konzert und wollen am nächsten Tag über ihr weiteres Schicksal entscheiden. Kaum aufgewacht, erfahren die Kinder von der Polizei, dass die Eltern einen schweren Unfall hatten. Sollte sich nicht schnell eine Pflegeperson finden, müssen die Kinder ins Heim. Zum Glück besitzt die Katze magische Kräfte.
Die zweite Geschichte ist für Derek ausgedacht, der daran zweifelt, dass sich Suzanne auch eine angsteinflößende Geschichte ausdenken kann. Eine weitere kleine Geschichte in dieser Geschichte handelt darüber hinaus davon, wie wichtig es ist, sich an verstorbene geliebte Menschen zu erinnern. Zwei Freunde, der eine großspurig und vorlaut, der andere schüchtern und ängstlich, verschaffen sich Zugang zu einem eingezäunten, völlig verwilderten Garten, in dem sie einen Schatz vermuten. Stattdessen finden sie in einem Schuppen nur lauter Kisten mit Apfelgripsen. Denn einen solchen hatte Derek in den Strohhut der Großmutter geworfen und wurde damit zur Zutat der Geschichte. Wie Jonas, der von seinem vorlauten Freund im Stich gelassen wird, später von der alten Besitzerin des Anwesens erfährt, sind diese Gripse die Lieblingsspeise eines Monsters, das sich im Garten versteckt hat und dem Jonas bald persönlich gegenüberstehen wird.
Die letzte Geschichte ist speziell für den Großvater gedacht, damit er wieder etwas Spaß am Leben hat und nicht in seiner Trauer versinkt. Diese Geschichte ist besonders lustig, wenn auch nicht so komplex gestaltet wie die beiden ersten. Ein griesgrämiger Witwer sucht das Grab seiner verstorbenen Frau auf, führt imaginäre Gespräche mit ihr und entdeckt bei einem heftigen Windstoß, dass er wie die Kormorane fliegen kann. Diese Geschichte muntert den Großvater auf und gibt ihm die Energie, einen eigenen Weg zu finden, seine Frau nicht nur im Gedächtnis in Erinnerung zu behalten.
Das alte Sprichwort „Viele Köche verderben den Brei“ trifft auf diesen Film überhaupt nicht zu. Das ist umso bemerkenswerter im Hinblick auf die Produktionsgeschichte, die fast zehn Jahre umfasst. Denn alle vier Regisseure konnten ihre Geschichten nach der Buchvorlage mit deutlich erkennbarer eigener Handschrift unabhängig voneinander entwickeln und sie entstanden nicht einmal im gleichen Zeitraum. Die erste war bereits als Kurzfilm nahezu fertiggestellt. Vorgabe bei diesem länderübergreifenden und von vielen Partnern finanziell geförderten Projekt war lediglich, dass die schwierigen Themen Tod und Trauer auf hoffnungsvolle Weise und für Kinder gut nachvollziehbar erzählt werden. Lediglich das Art-Design, die Musik, der Schnitt und die Farbgebung lagen in der Postproduktion im Verantwortungsbereich einer Person für alle Teile. Die 20 bis 30 Zentimeter großen, im Film animierten Figuren, die Sets für die in Inhalt und Form sehr unterschiedlichen und doch gut zusammenpassenden Geschichten und die Dreharbeiten fanden getrennt in den beteiligten Ländern statt. Speziell für Slowenien und die Slowakei, die über keine nennenswerten Produktionsmittel und Kapazitäten für solche Animationsfilme verfügt, war das eine große Herausforderung. Das macht nicht nur Mut zur Nachahmung, es ist auch als Vorbild empfehlenswert, denn gute und tief gehende Geschichten speziell für Kinder zwischen sechs und zehn Jahren sind in ganz Europa inzwischen Mangelware.
Holger Twele
Diese Kritik wurde im Rahmen der Berichterstattung über die Aufführung des Films bei Generation Kplus 2025 verfasst.
Pohádky po babičce - Tschechien, Slowakei, Slowenien, Frankreich 2025, Regie: David Súkup, Patrik Pašš, Leon Vidmar, Jean-Claude Rozec, Festivalstart: 14.02.2025, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 6 Jahren, Laufzeit: 71 Min., Buch: Marek Král, Petr Krajíček, Patrik Pašš, Jerneja Kaja Balog, Maja Križnik, Blandine Jet, nach dem Kinderbuch „Of unwanted things and people“ von Arnošt Goldflam, Kamera: Radka Šplíchalová, Václav Fronk, Alan Soural, Simona Weisslechner, Miloš Srdić, Mathilde Gaillard, Art Design: Patricia Ortiz Martínez, Jean-Claude Rozec, Schnitt: Adéla Špaljová, Musik: Lucia Chuťková, Produktion: Maurfilm, Artichoke, ZVVIKS, Mythology Sirens, Vivement Lundi
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