September & July
Im Kino: Zwei Schwestern – unzertrennlich und gefangen in ihrer eigenen Welt, in der Liebe sich zunehmend in Grausamkeit verwandelt.
Seit September und July denken können, sind sie unzertrennlich. Auch für Mutter Sheela, die die beiden gern als Zwillingspaar in hübschen oder wilden Kleidern für ihre Ausstellungen fotografiert. Dabei sind die Schwestern grundverschieden. Die gerade mal 10 Monate ältere, selbstbewusste September scheint vor nichts Angst zu haben, wird schnell wütend und braust auf, kümmert sich aber liebevoll um die etwas verträumte und schüchterne July. Die beiden leben in einer Fantasiewelt, zu der weder die Mutter, noch Gleichaltrige Zugang haben. So kommunizieren sie mit Tierlauten und Pfeiftönen oder ziehen Fratzen, was ihre Umgebung nicht versteht. Und sie spielen das Spiel „September sagt“. Dabei denkt sich September schwierige, aber auch erniedrigende Mutproben aus, die July bestehen muss. Tatsächlich strengt sich July an, um alles zu erfüllen: Zuerst isst sie nichts mehr, was rot ist, bis sie sich schließlich sogar mit dem Messer in den Hals ritzt. Immer übergriffiger und gefährlicher werden die Aufgaben der älteren Schwester. Eines Tages nimmt September ihr sogar das Versprechen ab, dass July auch sterbe, wenn sie mal stirbt.
In der Schule treten sie genauso als unzertrennliches, merkwürdiges Paar auf und werden gemobbt. Doch während September darauf mit unberechenbarer Gewalt reagiert und so den anderen Angst einjagt, weiß July sich nicht, zu wehren, und ist auf die Hilfe ihrer Schwester angewiesen. Als July durch ein gemeines Video im Netz bloßgestellt wird, rastet September aus und muss die Schule verlassen. Sheela zieht mit ihren Töchtern in ein einsames Haus an die irische Küste. Dort hat sie mit schweren Depressionen zu tun, so dass die Mädchen auf sich allein gestellt sind. Die Tage verbringen sie mit ihren Spielen, in die Schule gehen sie nicht. Allmählich spitzt sich die Situation zu, denn immer mehr fühlt sich July unter Druck gesetzt. Vor allem, als sie am Strand dem gleichaltrigen John näherkommt.
Schon die Romanvorlage „Sisters“ der britischen Autorin Daisy Johnson wurde mehrfach ausgezeichnet und stieß auf großes Interesse. So auch in Deutschland, wo das Buch unter dem Titel „Die Schwestern“ erschien. Nun hat die französische Schauspielerin und Regisseurin Ariane Labed den Stoff verfilmt und wurde mit ihrem Kinodebüt gleich zu den Filmfestspielen nach Cannes eingeladen und anschließend zu zahlreichen anderen internationalen Festivals.
Ihr Film ist ein ganz besonderes Porträt einer komplizierten, im Prinzip toxischen Schwesternbeziehung. Besonders deshalb, weil die Geschichte nicht eindeutig und direkt erzählt wird, sondern mit vielen Andeutungen und Dunkelstellen. Relativ schnell beschleicht uns das Gefühl, dass in dieser auf den ersten Blick so liebevollen Familie etwas nicht stimmt, wir bekommen so eine Ahnung, dass Verletzungen aus der Vergangenheit nicht verwunden sind und dass die enge Beziehung der Schwestern inzwischen bedrohliche Züge angenommen hat. Bis zum Schluss lässt der Film offen, was damals in der Schule passiert ist, bevor Sheela mit ihren Töchtern plötzlich von Oxford an die irische Küste gezogen ist. Als es dann in einer Rückblende ganz kurz gezeigt, eigentlich nur angedeutet wird, kehrt sich die Geschichte noch einmal auf eine verblüffende Weise um, aber auch wieder ohne eine eindeutige Erklärung zu geben. Spannung bleibt also bis zuletzt, wofür auch der atmosphärisch dichte Sound von Johnnie Burn, ausgezeichnet mit dem Oscar für seine Arbeit an „The Zone of Interest“ (Jonathan Glazer, 2023), beiträgt.
Barbara Felsmann
September Says - Frankreich, Irland, Deutschland, Großbritannien, Griechenland 2024, Regie: Ariane Labed, Kinostart: 06.03.2025, FSK: ab 16, Empfehlung: ab 16 Jahren, Laufzeit: 100 Min., Buch: Ariane Labed nach dem Roman „Die Schwestern“ von Daisy Johnson, Kamera: Balthazar Lab, Musik: Johnnie Burn, Schnitt: Bettina Böhler, Produktion: BBC Film, Cry Baby, Verleih: MUBI, Mit: Pascale Kann (September), Mia Tharia (July), Rakee Thakrar (Sheela), Cal O’Driscoll (John), Niamh Moriarty (Jennifer) u. a.


