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Made in Germany

In der ARD-Mediathek: 6 Folgen, 6 junge Menschen. Eine Dramaserie, die von Identitätsfindung und postmigrantischen Erfahrungen erzählt.

Ani, Jamila, Coumba, Zehra, Mo und Nikki. Sie sind Anfang 20, leben in Berlin und haben Elternteile, die einst nach Deutschland eingewandert sind. In jeder Episode folgen wir einer der 6 Figuren: ihr Blick, ihre Persönlichkeit, ihre Probleme stehen dann im Mittelpunkt.

Die Studentin Ani steht zum Beispiel mit ihren Umzugskisten auf der Straße, weil sie und ihre Mutter die Wohnung in Berlin-Kreuzberg wegen Eigenbedarf räumen mussten. Da die Mutter nun aufs Land zieht, soll Ani zunächst bei ihrem Vater in einer Plattenbausiedlung in Marzahn-Hellersdorf wohnen, bis sie eine neue Bleibe gefunden hat. Doch in Berlin eine bezahlbare Wohnung zu ergattern, ist an sich schon ein Ding der Unmöglichkeit. Ani als alleinstehende junge Frau begegnet bei der Wohnungssuche den verschiedensten Diskriminierungen. Aber auch das Zusammenleben mit ihrem aus Vietnam in die damalige DDR eingewanderten Vater gestaltet sich zunächst schwierig. Allein schon wegen seines traditionellen Denkens. Erst recht, als Ani bei einem Familientreffen von ihren Verwandten aus Vietnam scharf kritisiert wird, „weil sie so deutsch sei“. Lange Zeit schämt sich Ani für ihren Vater, der als „Vertragsarbeiter“ nach Deutschtland kam und jetzt in einfachen Verhältnissen lebt. Bis sie allmählich beginnt, dessen Gedanken- und Gefühlswelt zu begreifen.

Anis Freundin Jamila dagegen, die wir bereits in der ersten Folge kurz kennenlernen, ist auf der Suche nach einem Mann, „der es ernst meint“ und trifft in einer Kunstausstellung auf den charmanten Musikproduzenten Ben. Bereits beim ersten Date scheinen die beiden auf einer Wellenlänge zu sein. Bis Jamila den Verdacht schöpft, dass Ben sie nicht ihretwegen, sondern aufgrund seines rassistischen Fetischs für light skinned Frauen angesprochen hat. Als sie bei Ben übernachtet, wird ihre Vorahnung auf fatale Weise bestätigt.

In der dritten Episode geht es um Coumba, die eine Karriere als Model und Influencerin anstrebt. Dann erhält sie als Schwarze Frau, die Hidschab trägt, von einem großen Unternehmen ein sensationelles Angebot für eine Diversity-Kampagne. Coumbas Bruder rät ihr dringend ab, meint er doch, dass diese Firma einfach nur ihr Image aufbessern will. Doch Coumba lässt sich nicht beirren und erntet dafür im Netz einen Shitstorm.

Zehra, Coumbas Freundin, möchte sich bei ihrem im Sterben liegenden Vater als lesbisch outen und ihm ihre Freundin Daria vorstellen. Sie will nicht, dass eine Lüge zwischen ihnen steht. Doch ihre streng religiöse Familie versucht, sie daran zu hindern.

In der fünften Episode geht es um Mo. Seine Eltern wollen, dass die Familie früher oder später in den Irak zurückgeht. Erst aber soll Mo sein BWL-Studium beenden. Doch das hat Mo geschmissen und nun bereitet er sich heimlich auf die Aufnahmeprüfung an der Filmhochschule vor. Seine Freundin Jamila und sein Freund Nikki bestärken ihn in seinem Wunsch und bringen ihn auf die Idee, seine ganz persönliche Geschichte in einem Video zu erzählen.

Nikki wiederum ist ein Einzelgänger, der sich für Pflanzen interessiert. Doch dann stellt die New Yorkerin Maya sein Leben auf den Kopf. Für ihre Masterarbeit recherchiert sie die Geschichte ihrer jüdischen Vorfahren in Berlin, denn ihre Urgroßeltern wurden während der NS-Zeit ermordet. Als sie erfährt, dass auch Nikkis jüdische Urgroßeltern in Belarus von deutschen Soldaten umgebracht wurden, sucht sie bei Nikki vergeblich nach einer engen Verbundenheit zum Judentum. Ihr Drängen bringt Nikki dazu, sich mit seiner Identität auseinanderzusetzen – aber anders als Maya sich das vorgestellt hat.

6 Lebensgeschichten werden hier innerhalb von jeweils 30 bis 40 Minuten erzählt: kurz, prägnant und authentisch. Übergreifend spielen Alltagsrassismus, die Auseinandersetzung mit den Geschichten der Eltern sowie den Erwartungen, die von unterschiedlicher Seite an die Hauptfiguren gestellt werden, eine Rolle. Vor allem aber wird in diesen Geschichten das Thema Identitätsfindung und Postmigration aus differenzierten und alltäglichen Blickwinkeln heraus betrachtet, was für Film und Fernsehen noch ungewöhnlich ist. Das alles wirkt fast schon dokumentarisch. Auf peinliche dramatische Überspitzungen wird hier, trotz überraschender Wendungen, gänzlich verzichtet, wichtig scheint den Filmemacher*innen wie der Produktion eine glaubhafte Darstellung der Konflikte zu sein. Dazu hat auf jeden Fall beigetragen, dass die Autor*innen und Regisseur*innen aus den jeweiligen Communitys kommen, über die sie in den einzelnen Episoden auch erzählen. Dies trifft ebenso auf die Darsteller*innen zu, die zum großen Teil das erste Mal vor der Kamera standen.

Sehr gelungen ist auch die visuelle Gestaltung. So bilden die Aufnahmen von Berlin endlich mal nicht nur die „Touri-Meilen“ ab. Ebenso sensibel wurde beim Szenenbild gearbeitet, die Wohnungen der einzelnen Protagonist*innen und ihrer Familien wirken vertraut und lebendig, auch hier wieder fast wie in einem Dokumentarfilm. Insgesamt wird in dieser Serie ein Setting geschaffen, in dem sich jede*r wiederfinden kann. Bleibt daher nur zu wünschen übrig, dass sie in einer zweiten Staffel fortgesetzt wird.

Barbara Felsmann

© ARD Degeto/​ Studio Zentral/​ Iga Drobisz
14+
Spielfilm

Deutschland 2024, Serien-Idee: Anta Helena Recke, Đức Ngô Ngọc, Ozan Mermer, Raquel Stern, Bahar Bektas, Duc-Thi Bui, Naomi Bechert, Sharon Ryba-Kahn, Homevideostart: 04.10.2024, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 6 Episoden á 30-40 Min., Buch: Ozan Mermer, Đức Ngô Ngọc, Anta Helena Recke, Raquel Stern, Kamera: Mariel Baqueiro, Meret Madörin, Musik: Franziska May, Marcus Sander, Schnitt: Laura Espinel, Sofia Angelina Machado, Gürcan Cansever, Produktion: Studio Zentral (Berlin), Verleih: ARD-Mediathek, Besetzung: Maria Mai Rohmann (Ani), Paula Julie Pitsch (Jamila), Vanessa Yeboah (Coumba), Beritan Ludmila Balci (Zehra), Mohamed Kanj Khamis (Mo), Daniil Kremkin (Nikki)

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