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Bird

Im Kino: „Ich mag keine Abschiede“, sagt Bailey. Und auf ihrem jungen Gesicht zeichnet sich dabei die ganze Härte ihres Lebens ab.

Mit ihrem neuen Spielfilm taucht Andrea Arnold in ein sozial prekäres Umfeld ein und blickt dabei auf den Kampf junger Menschen gegen widrigste Bedingungen. Themen und Motive, die schon in ihren früheren Werken – etwa „Fish Tank“ (2009) und „American Honey“ (2016) – im Zentrum standen. Für die britische Regisseurin und Drehbuchautorin ist es eine Rückkehr zu ihren eigenen Wurzeln – im wahrsten Sinne des Wortes. Immerhin entstand „Bird“ in ihrer Heimat, der Grafschaft Kent, südöstlich von London.

Schon viele Enttäuschungen hat sie hinter sich. Schmerzhafte Erfahrungen gemacht, die Kindern eigentlich erspart bleiben sollten. Orientierung oder Sicherheit gibt es im Alltag der 12-jährigen Bailey nicht. Der Schule scheint sie fernzubleiben. Und ihr Vater Bug kümmert sich fast nur um seine Bedürfnisse, feiert in seiner verwahrlosten Wohnung wilde Partys, will mit einer Kröte, die halluzinogenen Schleim produziert, das große Geld machen. Geld, das er so schnell wie möglich braucht. Denn schon in einer Woche plant er, seine aktuelle Partnerin Kayleigh zu heiraten. Eine Entscheidung, mit der er Bailey völlig überrumpelt. Ihre Reaktion: Ablehnung. Aus Protest lässt sie sich von der Freundin ihres Halbbruders Hunter die Haare abschneiden.

Bei allem Rebellionsgeist sehnt sich aber auch Bailey – von Kinonewcomerin Nykiya Adams bemerkenswert nuanciert dargestellt – nach etwas Geborgenheit und Stabilität. Wenn sie durch die Straßen ihres Viertels stromert, fängt sie mit ihrem ramponierten Handy Naturimpressionen, vor allem Tiere, ein. Aufnahmen, die es ihr erlauben, für kurze Zeit aus dem Kreislauf der Vernachlässigung auszubrechen. Bilder, die einen kleinen Schutzraum eröffnen. Hunter wiederum tritt den Versäumnissen der Erwachsenen entgegen, indem er mit seinen Kumpels eine Art Bürgerwehr gründet. Wer in der Gegend über die Stränge schlägt, bekommt von den Jungs eine Abreibung verpasst.

Andrea Arnold nähert sich diesem Milieu, das sie aus eigener Erfahrung kennt, mit einer rastlosen Handkamera und verleiht dem Film so einen fast dokumentarischen Anstrich. Saust beispielsweise Bug mit seinem Elektroroller umher, folgt ihm auch Bildgestalter Robbie Ryan auf einem solchen Gefährt. Die Konsequenz: Wir sind mittendrin statt nur dabei. Gleichzeitig gibt es aber auch schon früh Augenblicke von poetischer Qualität. Augenblicke, in denen ein magischer Realismus hervorlugt. Das Rauschen des Windes im hohen Gras, Schmetterlinge an Fensterscheiben oder eine Krähe, die plötzlich zur Überbringerin einer Zettelbotschaft wird.

Eine Aura des Geheimnisvollen, Mystischen, leicht Unwirklichen umweht besonders die Figur des Vagabunden Bird, dem Bailey eines Morgens auf einer Wiese begegnet. Seinem Namen macht der junge Mann, der auf der Suche nach seinen Eltern ist, alle Ehre. Ständig sieht man ihn auf Hochhausdächern stehen und nach unten blicken. Einerseits hat Bird etwas Verlorenes an sich. Andererseits verströmt der beschwingt tänzelnde Außenseiter ein Gefühl von Freiheit, das Bailey anzieht und fasziniert. Zwischen der Protagonistin und diesem – möglicherweise nur imaginierten – Sonderling entwickelt sich eine eigenwillige, zarte Freundschaft, die ganz zum Schluss ihre volle emotionale Kraft entfaltet.

Das manchmal mit etwas plakativen Symbolen arbeitende Drama folgt keiner konventionellen Erzählstruktur und gibt der Hauptfigur kein klar definiertes Ziel mit auf den Weg. Vielmehr geht es für Bailey in erster Linie darum, sich zu behaupten, nicht unterzugehen. Dabei hat sie aber auch immer einen Blick für ihre Mitmenschen, versucht, zu helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Etwa im Fall ihrer Mutter Peyton, die mit Baileys jüngeren Halbgeschwistern am anderen Ende der Stadt lebt und unter ihrem gewalttätigen Partner leidet.

Eher ungewöhnlich ist die Perspektive der Regisseurin auf einige ihrer problembehafteten Nebencharaktere. Arnold schaut nicht auf sie herab, sondern bringt ihnen Empathie entgegen. Mit seinem von Tattoos übersäten Körper, seiner dicken Goldkette sieht Bug wie ein wandelndes Proll aus. Sein Verhalten ist immer wieder erschreckend selbstsüchtig. Doch entgegen des Klischees sind ihm seine Kinder nicht völlig gleichgültig, wird deutlich, dass er auch Liebe für sie empfindet. Erinnerungen weckt „Bird“ damit an Adrian Goigingers autobiografisches Familiendrama „Die beste aller Welten“ (2017), das die komplexe Beziehung einer drogenabhängigen Mutter zu ihrem siebenjährigen Sohn beschreibt.

Christopher Diekhaus

© House Bird Limited, Ad Vitam Productio / Photographer: Atsushi Nishijima und MFA
16+
Spielfilm

Großbritannien, Frankreich, USA, Deutschland 2024, Regie: Andrea Arnold, Kinostart: 20.02.2025, FSK: ab 16, Empfehlung: ab 16 Jahren, Laufzeit: 119 Min., Buch: Andrea Arnold, Kamera: Robbie Ryan, Musik: Burial, Schnitt: Joe Bini, Produktion: Tessa Ross, Juliette Howell, Lee Groombridge, Verleih: MFA Film GmbH, Besetzung: Nykiya Adams (Bailey), Franz Rogowski (Bird), Barry Keoghan (Bug), Jason Buda (Hunter), Jasmine Jobson (Peyton), Frankie Box (Kayleigh), James Nelson-Joyce (Skate) u. a.

Bird - Bird - Bird - Bird - Bird -

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