In my skin (Staffel 1)
In der ARTE-Mediathek: Kein Mensch merkt, dass bei ihr zuhause so einiges los ist. Denn die 16-Jährige Beth ist eine wahre Meisterin des Maskierens.
Höchst poetisch startet diese Serie: Mit einem Gedicht über eine Möwe und über die Liebe. Höchst blödsinnig findet dieses allerdings Beths Lehrerin. Das sagt sie natürlich nicht so, sie meint es aber. Und ganz ehrlich: Sie hat auch absolut recht damit. Aber wie soll Beth auch über Liebe schreiben, wenn sie doch noch nie richtig verliebt war? Ein neuer Anlauf ist gefragt, diesmal bitte mit mehr Biss. Doch erstmal geht Beth mit ihren zwei besten Freund*innen Lydia und Travis in den Park, sich betrinken, Teile schmeißen, wild über die Wiese rennen und die Welt für einen Moment ganz einfach sein lassen. Bis jemand kotzen muss. Aber egal. Dann eben entspannt nebeneinander auf dem Boden liegen, mit geschlossenen Augen, gemeinsam von einem wunderschönen Urlaub in Italien träumend.
Zu Hause dagegen ist die Welt alles andere als einfach und wunderschön: Beth wird mitten in der Nacht wach, weil ihre Mutter einen manischen Schub hat und das Auto waschend auf der Straße tanzt. Ihren Vater interessiert das nicht groß, soll „die Verrückte“ doch einfach machen. Vermutlich ist er wieder betrunken. Also muss Beth sich kümmern, mit ihrer Mutter in die Klinik, Aufpasserin und sensible Begleitung spielen, den Menschen dort mal wieder erklären, was passiert ist. Und damit zurechtkommen, dass ihre Mutter erstmal wieder hierbleiben wird.
„In My Skin“ lässt uns intensiv spüren, was es bedeutet, wenn das Kind im Haus die Erwachsene sein muss. Immer wieder sehen wir, wie Beth sich für ihre Mutter einsetzt, wie sie da ist und Verantwortung übernimmt, dafür oft genug ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellt, weil es eben nicht anders geht. Und wenn wir genau hinsehen, bemerken wir, wie viel Kraft sie das kostet – und dass sie Angst hat. Um ihre Mutter, manchmal auch vor ihr. Zum Beispiel, als sie beim Besuch in der Einrichtung wütend von ihr angefahren wird, warum sie sie nur hergebracht habe, dass sie jetzt hier festsitzen würde. An einem Ort, an dem sie von Kameras beobachtet würde und viele Pfleger*innen gar keine richtigen Pfleger*innen seien. Es ist stellenweise schon schmerzhaft, das mit anzusehen, das ständige Pendeln ihrer Mutter zwischen Paranoia und Wut und dann wieder ihre vollkommene Hilflosigkeit, und wie Beth das alles aushalten muss. Und dann wiederum gibt es Momente, da ist es einfach wunderschön, wie die beiden miteinander umgehen, mit etwas verdrehten Rollen zwar, aber Mutter und Tochter in inniger Verbindung stehen – und wir merken, dass sie sich sehen und stolz aufeinander sind. Auch wenn Beth ungesund viel Verantwortung tragen muss für eine 16-Jährige.
Auf ihren Vater kann sie dabei nicht zählen. Er ist ein Typ, der Rechnungen liegen lässt, bis das Gas abgestellt wird. Der auch mal masturbierend im Wohnzimmer sitzt, wenn Beth nach Hause kommt. Und für den auf die Mutter aufzupassen im Zweifelsfall auch bedeuten kann, sie einfach nachts an der Heizung festzubinden. Er ist also echt keine Hilfe, sondern letzlich echt gefährlich für sein Umfeld. Ab und an ist Beths Großmutter da, die einzige Erwachsene, die etwas Verantwortung übernimmt. Nur kann sie nicht ständig da sein. Auch sonst hat Beth niemanden, wenn es um den Stress zu Hause geht. Denn in der Schule redet sie mit niemandem darüber, inszeniert stattdessen das Bild einer gesunden, funktionierenden, gutbürgerlichen Familie. Selbst ihren Besties Lydia und Travis erzählt sie, dass ihre Eltern ein Sommerhaus in Italien haben und mit ihr in Musicals gehen – Geschichten, die kaum weiter entfernt von ihrer tatsächlichen Alltagsrealität liegen könnten. Beth lügt viel, es ist einfach zur Gewohnheit geworden. Die angelernte Maske sitzt fest auf ihrer Haut und sie hält aus, in einer Rolle, in der sie nicht einmal mit ihren engsten Freund*innen offen reden kann.
Die Aufgabe mit dem Gedicht läuft übrigens erst dann besser, als Beth anfängt, wirklich aus dem Herzen zu schreiben. Ihr Gedicht „The Wrong Daughter“ wird schließlich sogar in einer Anthologie veröffentlicht. Dadurch bekommt sie plötzlich Aufmerksamkeit von Poppy, dem beliebtesten Mädchen der Schule. Sie freunden sich an, vielleicht ein bisschen mehr. Alles ist plötzlich ein bisschen anders. Es gibt mehr von den guten Momenten. Beth hält sich so gut es geht fest an den Glücksgefühlen und lässt das Übermaß an Verantwortung ein klein wenig los – auch wenn sie dabei Lydia und Travis vernachlässigt. Und auch sonst passiert so einiges in den 5 Episoden der ersten Staffel von „In My Skin“: Unerwartetetes, Mitreißendes, Niederschmetterndes, Tauriges, Hoffnungsvolles und Fantastisches. Und da wir tatsächlich eine Weile mit in Beths Haut stecken und ihre aktuelle Lebenssituation nicht nur kennenlernen, sondern intensiv miterleben, könnte der Titel der Serie kaum treffender sein.
Marius Hanke
Großbritannien 2018, Serien-Idee: Lucy Forbes, Molly Manners, Homevideostart: 24.01.2025, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 16 Jahren, Laufzeit: 29 bis 30 Min. pro Folge, Regie: Lucy Forbes, Molly Manners, Buch: Kayleigh Llewellyn, Produktion: Expectation Entertainment Limited, Verleih: BBC Studios France, Besetzung: Gabrielle Creevy (Bethan), James Wilbraham (Travis), Poppy Lee Friar (Lydia), Jo Hartley (Bethans Mutter), Di Botcher (Bethans Oma), Rhodri Meilir (Bethans Vater), Zadeiah Campbell-Davies (Poppy) und andere






