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Wallace & Gromit: Vergeltung mit Flügeln

Auf Netflix: Die liebenswerten Plastilinfiguren in der Fortsetzung des Kurzfilm „Die Techno-Hose“.

In der West Wallaby Street 62 geht alles seinen gewohnten Gang. Wallace erfindet fleißig und bastelt an kuriosen Gerätschaften, die kein Mensch braucht, aber den Alltag sehr abwechslungsreich gestalten. Und Hund Gromit muss die kleinen Unzulänglichkeiten der Erfindungen ausbaden oder kreative Errungenschaften wie eine Hund-Tätschel-Maschine an sich ausprobieren lassen. Dann überspannt Wallace den Bogen für Gromit allerdings, als er einen Roboter-Gartenzwerg namens Norbot erfindet. Gromits heimeliger Garten verwandelt sich im Nu in eine starre kubistische Formenwelt. Und dann scheint Norbot für Wallace auch noch wichtiger zu werden als Gromit. 

Dass Gromit eifersüchtig wurde, weil sich Wallace mehr um jemand anderen gekümmert hat, ist im Erzählkosmos der „Wallace & Gromit“-Filme nichts Neues. Meist waren es Frauen wie die Wollverkäuferin Wendolene aus „Unter Schafen“, Lady Tottington aus „Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen“ oder die Bäckerin Piella aus „Auf Leben und Brot“, die Wallace den Kopf verdreht haben. Und einmal – im Kurzfilm „Die Techno-Hose“ – hat gar ein Pinguin einen Keil zwischen Gromit und sein Herrchen getrieben. Als der geheimnisvolle Pinguin Feathers McGraw als Untermieter in der West Wallaby Street einzog, musste Gromit in die Hundehütte umziehen, bis sich der Pinguin als durchtriebener Juwelendieb entpuppte. Dank Gromit landete Feathers damals im Knast – sprich: im Zoo. Jetzt werden durch Norbot ähnliche Erinnerungen wach. Und die Vergangenheit holt den Erfinder und seinen Hund noch auf ganz andere Art ein. Als Feathers McGraw im Gefängnis nämlich von der Gartenzwergerfindung erfährt, plant er seinen Ausbruch und die Rache an Wallace und Gromit. Dafür programmiert er zuerst Norbot um. Und dann geht das Chaos richtig los. 

Die Filme mit Wallace und Gromit sind immer ein großer Spaß. Das liegt zum einen an den unglaublich liebenswerten Figuren, die aus Plastilin und Silikon bestehen, von Hand animiert wurden und mit nur wenigen Bewegungen eine Vielzahl an Emotionen ausdrücken können. Obwohl die Figuren bereits 35 Jahre alt sind – Nick Parks erstes „Wallace & Gromit“-Abenteuer „Alles Käse!“ wurde 1990 veröffentlicht – wurden die Figuren kaum modernisiert. Im Aardman-Studio trotzt man den Bestrebungen anderer Animationsstudios, immer glattere und perfektere Bilder zu liefern, und setzt radikal auf den Charme des Handgemachten. Fingerabdrücke auf den Figuren sind ausdrücklich gewünscht, ja unterstreichen sogar die Glaubwürdigkeit. Mit großer Liebe zum Detail sind nicht nur die Figuren und deren Welt, sondern auch die Geschichten umgesetzt. Seit „Die Techno-Hose“ zählt es zum Markenzeichen der Reihe, Genres zu zitieren und zu parodieren. Konsequent steht nun in „Vergeltung mit Flügeln“, der als Fortsetzung an „Die Techno-Hose“ anknüpft, visuell erneut der Film Noir im Mittelpunkt, ergänzt durch Referenzen an Einbruchs- und Ausbruchsfilme, an James-Bond-Filme und den Humor der Ealing-Komödien.

Obgleich Gromit im Titel nur als zweite Figur genannt wird, ist er doch die heimliche Hauptfigur. Der erwachsene Wallace hat zwar ein großes Herz und ist ungemein liebenswert, bekommt aber meist nicht mit, was wirklich in seiner Umgebung vor sich geht. Gromit ist als treuer Hund zwar abhängig von dem Menschen, aber ungleich schlauer – und damit eine perfekte Identifikationsfigur für Kinder. Zumal auch Gromit mit unangenehmen Gefühlen konfrontiert wird. Es kränkt ihn, wenn Wallace ihn übersieht oder nur Augen für seine Erfindungen hat, statt Gromit einmal selbst den Kopf zu tätscheln. Letztlich liegt es immer auch an Gromit, sein Herrchen zu retten und alles wieder ins Lot zu bringen – obwohl er von den Menschen oft nicht oder eben nur als Hund wahrgenommen wird und auch nicht sprechen kann.

Weil die Filmemacher*innen so mühelos zwischen den Genres hin- und herwechseln und ein Feuerwerk an Bild- und Sprachwitz abfackeln (die Originalversion hat hier noch einmal ein ganz anders Niveau), wirkt „Vergeltung mit Flügeln“ nicht redundant. Auch die Bezüge zu gegenwärtigen Themen und Technologien fügen sich stimmig in die Retrowelt ein und funktionieren als augenzwinkernder Kommentar. Manchmal muss die wahre Bestimmung einer Technik eben erst noch gefunden werden. So lange kann man im Wohnzimmer auf dem Sofa sitzen und Tee trinken. Und dazu ein paar Cracker mit Käse essen.

Stefan Stiletto

© Netflix
8+
Animation

Großbritannien, USA 2024, Regie: Nick Park, Homevideostart: 03.01.2025, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 8 Jahren, Laufzeit: 82 Min., Buch: Mark Burton, Kamera: Dave Alex Riddett, Schnitt: Dan Hembery, Musik: Lorne Balfe, Julian Nott, Produktion: Richard Beek / Aardman, BBC Vertrieb: Netflix.

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