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Mein ewiger Sommer

Entdeckt in Lübeck: Die 15-jährige Fanny versucht in den Sommerferien damit klarzukommen, dass ihre unheilbar kranke Mutter bald sterben wird.

Fanny steht vor einem neuen Lebensabschnitt: Nach den großen Ferien wird sie an eine andere Schule wechseln. Doch zunächst reist sie mit ihren Eltern zum idyllisch gelegenen Sommerhaus an der dänischen Küste. Bei blauem Himmel und Sonnenschein wollen sie sich dort erholen, lesen, schwimmen, fernsehen und spazieren gehen.

Das klingt nach einem heiteren Sommerferienfilm, die hellen Bilder und die entspannte Atmosphäre sind allerdings trügerisch. Denn Fannys Mutter Karin leidet an einer unheilbaren Erkrankung, vermutlich Krebs, und lehnt weitere Behandlungen ab. Für die mutmaßlich letzten Tage und Wochen, die sie mit ihrem Mann Johan und der Tochter verbringen will, tragen zwei Sanitäter ein Krankenhausbett ins Haus. Um Karin etwas aufzumuntern, organisiert Johan ein Picknick auf einer Anhöhe über dem Meer und lädt gute Freund*innen zu einem Essen ein.

Und Fanny? Die ist hin- und hergerissen. Einerseits will sie sich um ihre Mutter kümmern, viel gemeinsame Zeit bleibt wahrscheinlich nicht mehr. Andererseits möchte sie die Sommerferien genießen und unbeschwerte Stunden erleben, sie freut sich auf ihren Freund Jamie, der für wenige Tage vorbeischaut, bekommt Besuch von zwei Freundinnen. Als der Ernst der Lage Fanny zunehmend belastet, verlässt sie das Haus, lenkt sich in einem Club ab und beginnt in einer Gaststätte zu kellnern. Doch die fortschreitende Krankheit kennt keine Gnade.

Der erste lange Spielfilm der jungen dänischen Regisseurin Sylvia Le Fanu ist autobiographisch grundiert, verarbeitet unter anderem den frühen Tod ihrer Mutter. Eine bewegende Schlüsselszene des Films beruht sogar partiell auf authentischen Dokumenten: Fanny liest aus dem Tagebuch ihrer Mutter vor und gewährt uns damit tiefe Einblicke in die Erinnerungen und Gedankenwelt Karins.

Dass Le Fanu und Mads Lind Knudsen lange am Drehbuch gearbeitet haben, zahlt sich in jedem Falle aus: Mit bewundernswerter Stilsicherheit beobachtet der Film die innerfamiliären Spannungen und nervlichen Belastungen, die die tödliche Erkrankung der Familie auferlegt, ohne je ins allzu Melodramatische oder Pathetische auszuweichen. Für etwas Entspannung sorgen gelegentlich Szenen mit schwarzem Humor oder gar dem Mut zur Albernheit, etwa wenn Fanny und Karin bei der TV-Übertragung eines Radrennens aus der gemeinsamen Traurigkeit und ohne erkennbaren Grund in lautes Gelächter ausbrechen.

Ebenso souverän schildert der Film die leisen Momente der Trauer und die starken seelischen Erschütterungen von Fanny, aus deren Perspektive der Film hauptsächlich erzählt wird. Sie ist mit der schwierigen Situation offenkundig emotional überfordert, möchte ihrer Mutter beistehen, aber manchmal auch einfach nur weglaufen. Umso verständlicher wirken die impulsiven, ja manchmal egoistischen Ausbruchsbewegungen des aufgewühlten Mädchens, das nach einem seelischen Ausgleich für das schmerzhafte Abschiednehmen sucht. Dass dieses Spannungsfeld zwischen Trauer und Mitgefühl, Eigensinn und Lebenshunger, dieses Auf-der-Suche-nach-einem-sicheren-Ort-Sein greifbar wird, ist insbesondere auch Kaya Toft Loholts intensivem Spiel zu verdanken. Auch Maria Rossing als sterbenskranke Mutter und Anders Mossling als um Fassung ringenden Vater glänzen mit herausragenden Leistungen.

Darüber hinaus kann das eindringliche Familiendrama, das gelegentlich an Filme wie die Romanze „Pauline am Strand“ (Eric Rohmer, 1983) oder das Mutter-Töchter-Drama „Rückkehr nach Korsika“ (Catherine Corsini, 2023) erinnert, durch die bedächtigen Bildkompositionen von Kameramann Jan Bastian Muños Marthinse sowie die sparsam eingesetzten musikalischen Akzente von Patricio Pock-Stehen Fraile überzeugen. Ohne je aufdringlich zu wirken, lädt Le Fanu dazu ein, über den unausweichlichen Verlust geliebter Menschen und die Vergänglichkeit des Lebens nachzudenken.

Großes Lob verdient auch das starke Finale, das bei aller Melancholie doch ein leises Zeichen der Hoffnung setzt. Denn irgendwann ist dieser denkwürdige Sommer vorbei und macht bei Fanny Platz für neue Erfahrungen.

Reinhard Kleber

Diese Kritik wurde im Rahmen der Berichterstattung über die Aufführung des Films bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck 2024 verfasst.

© Jan Bastian Muñoz Marthinsen / Adomeit Film
14+
Spielfilm

Min evige sommer / My Eternal Summer - Dänemark 2024, Regie: Sylvia Le Fanu, Festivalstart: 06.11.2024, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 104 Min., Buch: Mads Lind Knudsen, Sylvia Le Fanu, Kamera: Jan Bastian Muñoz Marthinsen, Musik: Patricio Pock-Steen Fraile, Schnitt: Emma Lagrelius, Produktion: Adomeit Films ApS., Besetzung: Kaya Toft Loholt (Fanny), Maria Rossing (Karin), Anders Mossling (Johan), Jasper Kruse Svabo (Jamie), Mika Hyllekvist Nielsen (Christina) u. a.

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