Weihnachten in der Schustergasse
Im Kino: Ein Weihnachtsmärchen in satten Farben und mit zauberhaften Kulissen, das durch die Geheimnisse seiner Figuren an Tiefe gewinnt.
Wie feiert man Weihnachten nach dem Ende eines langen Krieges? „Weihnachten in der Schustergasse“ spielt im Jahr 1945 in einem kleinen Dorf in Norwegen, wo sich die Menschen auf das Fest freuen und gespannt sind, wie dieses wohl sein wird nach den vielen Jahren des Zweiten Weltkrieges, der auch hier in Nordeuropa zu spüren war.
Besonders wichtig ist dieses Weihnachten für die zehnjährige Stine (Kaya Ekerholt McCurley), denn ihr Vater hatte ihr versprochen, nach dem Krieg wieder gemeinsam Weihnachten zu feiern. Unter dem Vorwand, ihren Papa zu suchen, büxt sie aus dem Waisenhaus aus, in dem sie wohnte, während dieser als Soldat kämpfte. Stine landet in einem kleinen Dorf abseits der großen Städte und schließlich bei einem eigenwilligen Schuster (Kåre Conradi). Dieser ist überrascht wie ablehnend dem Mädchen gegenüber; Schuhmacher Andersen lebt seit Jahren allein, hat kaum Kontakt zur Außenwelt und seit dem Wegzug seiner Tochter keinen Fuß mehr vor die Tür gesetzt.
Schon zu Beginn spürt man, dass diese beiden ganz unterschiedlichen Menschen sich helfen werden: das kleine mutige Mädchen und der alte etwas mürrisch wirkende Mann, der auch als Off-Erzähler im Film fungiert. Behutsam erzählt Mikal Hovland in seinem Spielfilmdebüt die Geschichten dieser beiden einsamen Leben, was mal traurig, mal spannend und immer berührend ist. Die von Kaya Ekerholt McCurley charmant gespielte Stine lockt den Schuster immer wieder aus der Reserve, auch indem sie Wahres verschweigt und Wahrheiten so herumdreht, dass sie in ihr Narrativ passen. Das Mädchen hat – ohne Eltern auf sich allein gestellt – gelernt, sich die Welt so zu zurechtzulegen, wie es gut für sie ist – und erinnert dabei ein wenig an die fabelhafte Amélie wie die starke Pippi mit den roten Zöpfen. Wie die beiden hinterlässt Stine bei ihren Gegenübern Spuren, verbindet die Menschen miteinander und macht die Welt um sie herum am Ende immer ein Stückchen besser.
Überhaupt ruft „Weihnachten in der Schustergasse“ mit seinem Bilderbuch-Dorf, den Figuren in selbstgestrickten Pullundern und wohleingerichteten Holzhäusern die Erinnerungen an Astrid Lindgrens Welten wach. Nebenan könnte man auch den Bullerbü-Hof oder Maditas Garten vermuten. Die Dorfbewohner sind allesamt typisierte Figuren: die Krämerin und der Blumenhändler, die irgendwie nicht zueinanderkommen, obwohl sie schon lange ein Auge aufeinander geworfen haben, Polizist, Postmann Bäcker. Jede kennt jeden, jeder spricht über jede und umgekehrt, und alle haben sie irgendwie miteinander zu tun. Es ist eben ein kleines Dorf mit seinem Alltag, der durcheinanderkommt, weil sich der Postmann (Martin Lepperød) das Bein gebrochen hat und dann zu Weihnachten nicht nur Stine, sondern auch die gealterte Schlagersängerin Tilla Hjul (Lene Kongsvik Johansen) auftaucht, die die Vorweihnachtszeit für ihr fulminantes Revival nutzen möchte.
Die Nebenplots der Dorfbewohner bilden den amüsanten Gegenpol zur etwas schwereren Haupthandlung. Das ist ein Familienfilm, wie man ihn hierzulande gerne öfter sehen würde: Den Klamauk, mit dem sich das junge Publikum vom Ernst der Geschichte um die Einsamkeit in schwierigen Zeiten erholen kann, gibt es vor allem bei den Figurentypen; die Hauptfiguren und ihre familiären Schicksale und Konflikte sind voller Liebe und mit Ernsthaftigkeit gezeichnet.
Stine trifft auch auf den gleichaltrigen Jørgen (Håkon Seip), der sich sofort von Stine und ihrer Kreativität begeistern lässt und in ihr seine neue Freundin sieht. Die beiden verstehen sich gut und können miteinander ihre jeweiligen Alltagssorgen vergessen. Für Jørgen ist klar: Stine soll unbedingt in seiner Familie Weihnachten feiern. Und das ist genau das, was sich Stine immer gewünscht hat: Teil einer Familie zu sein, mit ihnen das Fest vorzubereiten, sich – nach der langen Trennung von ihrem Vater – wieder zugehörig und geborgen zu fühlen. Dann aber kommt ihr Tilla auf die Spur und wittert im Aufdecken von Stines Vergangenheit die nötige Aufmerksamkeit, die sie für ihre Rückkehr auf die öffentliche Bühne benötigt.
Damit geht es in „Weihnachten in der Schustergasse“ auch darum, was das Fest eigentlich ausmacht: Sich – nach den Jahren des Leids und den ganz unterschiedlichen Auswirkungen des Krieges auf das Leben in den Familien – zu versöhnen und den Zusammenhalt zu feiern. Füreinander zu sorgen und die Wunden im Miteinander heilen zu lassen.
Weihnachten findet sich nicht nur im Titel, sondern auch in der liebevollen und detailreichen Gestaltung des Familienfilms. In der Farbgestaltung dominieren Rot und Grün, die Lichtquellen kommen oft aus dem Filmraum und sind Teil der Bauten: Kerzen, Lichterketten, beleuchtete Fenster. Dadurch entsteht eine wundervolle und passende Stimmung, die auch Hoffnung versprüht. Und zeigt: Gerade in der Weihnachtszeit kann man auch schwerere Geschichten für den Nachwuchs ins Kino bringen. Umso deutlicher wird einem das eigene Glück bewusst – und auch das passt wunderbar zum Weihnachtsfest.
Verena Schmöller
Den første julen i Skomakergata - Norwegen 2023, Regie: Mikal Hovland, Kinostart: 14.11.2024, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 8 Jahren, Laufzeit: 94 Min., Buch: Maren Skolem, nach dem Roman „Jul i Skomakergata“ von Bjørn Rønningen, Kamera: Torkel Riise Svenson, Schnitt: Margrete Vinnem, Musik: Gaute Storaas, Produktion: Andrea Christine Backström, Sigurd Mikal Karoliussen, Verleih: Capelight, Besetzung: Kaya Ekerholt McCurley (Stine), Kåre Conradi (Schuhmacher Andersen), Håkon Seip (Jørgen), Lene Kongsvik Johansen (Tilla Hjul), Rebekka Nystabakk (Alma) u. a.
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