Hungry
In der ZDF-Mediathek: Ronnie hat mit „den Psychos“ in der Kinder- und Jugendpsychiatrie so gar nichts gemein. Oder doch?
„Das hier ist keine süße Geschichte. Hier geht es um Essstörungen, psychische Erkrankungen und Trauma – und um Loser, die nicht klarkommen. Loser wie ich, Loser wie du!“ So deutlich und wütend bringt die kindliche Ronnie zu Beginn jeder Folge auf den Punkt, was man von „Hungry“ erwarten darf.
Die Serie erzählt in sechs knappen Folgen davon, wie Ronnie, inzwischen 17, gegen ihren Willen in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen wird. Ihre Mutter weiß sich nicht anders zu helfen. Alles hier macht Ronnie wütend: ihre Therapeutin, das Essen unter Aufsicht, ihre nervige Zimmernachbarin Kimmi, die ohne Makeup und Social Media nicht leben kann, und die anderen Jugendlichen auf der Station. So nimmt sich Ronnie vor, durch Regelbruch zu provozieren, dass sie wieder rausfliegt. Doch so leicht ist das nicht und die anderen auf der Station machen Ronnie ihr Vorhaben zusätzlich nicht einfach – denn sie werden ihr immer weniger egal. Da sind Gina und Melly, ebenfalls essgestört, da ist die depressive Esta und da ist Milan, der panische Angst vor Keimen hat. Außerdem ist da Nick, für den Ronnie zunehmend Gefühle entwickelt. Aber ist es eine gute Idee, sich auf jemand einzulassen, der bipolar ist? Ronnie merkt, dass diese „Loser“ womöglich genau die Unterstützung sind, die sie braucht, um sich ihrer Krankheit zu stellen und wieder für ihr Leben kämpfen zu wollen.
Welche Kostüme sind bei einer Halloweenparty in einer Psychiatrie unbedenklich und triggern nicht? Wieso gibt es immer diese ekligen Sahnenudeln zum Essen? Und kann ein Ausflug aus der Psychiatrie heraus sich auch schön anfühlen, wenn er primär dazu dient, das Pizzaessen im normalen Leben zu üben? Einfühlsam, ehrlich und manchmal komisch zeigt „Hungry“ den Alltag der Jugendlichen auf der Station und macht spürbar, was es bedeutet, täglich von seinen Erkrankungen Hürden in den Weg gestellt zu bekommen. Es ist nicht leicht, sich auf Therapie einzulassen.
Headautorin und Hauptdarstellerin Zoe Magdalena („Maxton Hall“, „Kroymann“) war als Jugendliche selbst wegen einer Essstörung in einer Klinik und weiß sehr gut, wovon sie erzählt – und wie sie dies erzählen will. So ist „Hungry“ wunderbar echt und auf Augenhöhe mit den Jugendlichen und gibt ihren Gefühlen allen Raum: der Wut auf das Schicksal und auf andere, der Hoffnung, dass es besser wird, und der Angst vor dem Scheitern. Dass nicht einfach „alles wieder gut“ wird und nach Fortschritten im Umgang mit der Krankheit stets Rückschläge kommen können, macht „Hungry“ auch deutlich – und bleibt doch stets ermutigend. Denn immer mehr werden die Jugendlichen zu einer Gemeinschaft und helfen fürsorglich einander.
Die jungen Schauspieler*innen sind eine tolle Entdeckung, die von Regisseurin Eline Gehring („Nico“) so gekonnt wie lebendig in Szene gesetzt werden. Gastauftritte wie von Comedian Felix Lobrecht als Kantinenkoch setzen Akzente. Songs von Popkünstlerinnen wie Taylor Swift, Billie Eilish, Sabrina Carpenter bilden den so authentischen wie empowernden Soundtrack.
In Summe ist so eine gelungene deutsche Jugendserie entstanden, die ihr ernstes Thema angenehm unpeinlich und undidaktisch erzählt, und dabei zum Mitlachen wie Mitfühlen einlädt. Davon dürfte es gern mehr zu sehen geben.
Kirsten Loose
Deutschland 2024, Regie: Zoe Magdalena, Homevideostart: 28.11.2024, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 14-19 Min. pro Folge, Buch: Zoe Magdalena (Headautorin), Autor*innen: Momo Sinner, Jasmina Wesolowski, Regie: Eline Gehring, Kamera: Laura Hansen, Schnitt: Jan von Rimscha, Produktion: Network Movie für ZDF, Verleih: ZDF, Besetzung: Zoe Magdalena (Ronnie), Alessandro Schuster (Nick), Daria Vivien Wolf (Gina), Saron Degineh (Esta), Felina Zenner (Melly), Evelin Schwarz (Kimmi), Amadin Piatello (Milan), Minna Wündrich (Frau Jakobsen), Azizè Flittner (Claudia)