Blitz
Rita schickt ihren Sohn in die Provinz, um ihn vor den Bombardements der Deutschen zu schützen. Weltkriegsgeschichte, die auch von Rassismus handelt.
„The Blitz“ – eine Abkürzung für Blitzkrieg – werden im englischen Sprachraum die Angriffe der deutschen Luftwaffe auf Großbritannien, besonders London, in den Jahren 1940 und 1941 genannt. Eben diese historischen Ereignisse bilden den Hintergrund von Steve McQueens neuer Regiearbeit, die noch vor ihrer Veröffentlichung beim Streaming-Dienst Apple TV+ am 22. November 2024 in ausgewählten Kinos startete. In einem Hinweistext informiert uns „Blitz“ gleich zu Beginn, dass im Zuge der Attacken durch die Nazis weit über eine Millionen Menschen aufs Land evakuiert wurden, weil dort weniger Bomben niedergingen als im großstädtischen Raum. Vor allem Kinder sollten auf diese Weise aus der Gefahrenzone gebracht werden und mussten sich zum Teil von ihren Familien trennen.
Wie schwer ein solcher Abschied war, macht der Film in einer frühen Szene eindringlich spürbar: Aus Angst um ihren neunjährigen Sohn George ringt sich die in einer Rüstungsfabrik arbeitende Rita dazu durch, ihn in einen Zug zu setzen und in die Provinz zu schicken. Wütend über die Entscheidung seiner Mutter, würdigt der Junge sie bei der Verabschiedung keines Blickes. Was schon unter „normalen“ Umständen bedrückend wäre, ist hier, in Kriegszeiten, gleich doppelt schmerzhaft. Denn keineswegs wissen die beiden, ob sie sich jemals wiedersehen werden. Kinderdarsteller Elliott Heffernan, der in „Blitz“ seine erste Filmrolle übernommen hat, bringt Georges Enttäuschung in seinem abweisenden Gesichtsausdruck überzeugend rüber. Saoirse Ronan vermittelt ihrerseits die Verzweiflung und die innere Zerrissenheit ihrer Figur in diesem Augenblick auf intensive Weise.
Die niederschmetternde Erfahrung am Bahnsteig sorgt dann auch dafür, dass sich die Mutter schnell Vorwürfe macht und mit ihren Gedanken ständig bei ihrem Sohn ist. George wiederum will sich nicht einfach abschieben lassen und handelt. Nach rund einer Stunde Fahrt springt er aus dem Zug. Sein Ziel: Zurück nach London, zu Rita und seinem Großvater Gerald. Fortan schneidet Steve McQueen zwischen der Odyssee des Neunjährigen und dem Alltag seiner Mutter hin und her, wobei die Erlebnisse des Jungen etwas mehr Leinwandzeit bekommen.
Dramaturgisch verläuft „Blitz“ in recht klassischen Bahnen. George macht Zufallsbekanntschaften, muss Hürden überwinden und brenzlige Situationen meistern, während Rita irgendwann, als sie von seiner Flucht erfährt, nach ihm zu suchen beginnt. Am Beispiel des jungen Protagonisten, der eine weiße Mutter und einen Vater mit afrikanischen Wurzeln hat, den er nie kennenlernen konnte, zeigt der Regisseur, wie weit Rassismus in der damaligen britischen Gesellschaft verbreitet war. Immer wieder werden George abfällige Bemerkungen entgegengeschleudert. Sich selbst sieht er allerdings nicht als schwarz an. So sagt er es dem aus Nigeria stammenden Wachmann Ife, bei dem er auf seiner Reise Unterschlupf findet. Durch diese Begegnung wird der Ausreißer plötzlich mit Fragen nach Identität und Herkunft konfrontiert. Ein durchaus spannender Gedanke. Georges Erkenntnisse, seine neue Perspektive handelt der Film aber mehr im Vorbeigehen ab, anstatt sie wirklich zu ergründen.
Beeindruckend ist McQueens Historiendrama vor allem dann, wenn es den Plot nicht vorantreibt, sondern Zeit für Seitenblicke hat, dem Zustand der Gesellschaft nachspürt. Für weniger wohlhabende Menschen gibt es offenbar nicht ausreichend Bunkerplätze. Immer wieder stürmen sie, wie George und Rita gleich zu Beginn, U-Bahntunnel, um sich irgendwie vor den Bomben der Nazis in Sicherheit zu bringen. Zudem: Selbst in Momenten größter Not bleiben manche ihrem rassistischen Denken treu, erheben sich über andere. Parallel entfaltet sich im Angesicht der Bedrohung aber auch die Kraft der Solidarität, besonders im Kreis der Außenseiter*innen und „einfachen Leute“. Tiefberührend ist es etwa, wenn Groß und Klein dicht gedrängt in einem Schutzraum stehen und, von Angst ergriffen, gemeinsam ein Lied anstimmen.
Dass der Regisseur historische Grausamkeiten nicht beschönigt, weiß man aus seinen früheren Werken. In seinem Oscar-Triumph „12 Years a Slave“ (2013) zum Beispiel müssen die Zuschauer*innen in einer Szene dem an einem Strick baumelnden Protagonisten minutenlang dabei zusehen, wie er um sein Leben kämpft. Ganz so drastisch wird es in „Blitz“ nicht. Oft bricht das Grauen des Krieges, brechen seine unschönen Begleiterscheinungen aber schlagartig über die Figuren herein. So gerät George gegen Ende an eine kriminelle Bande, die das Chaos der Bombenangriffe für ihre Zwecke ausnutzt. Hintenraus packt das Drehbuch zwar zu viele Geschehnisse in zu schneller Abfolge zusammen. Das ungekünstelte Spiel von Elliott Heffernan und Saoirse Ronan garantiert aber immer noch, dass uns die Mutter-Sohn-Geschichte berührt.
Christopher Diekhaus
Blitz - Großbritannien/USA 2024, Regie: Steve McQueen, Kinostart: 07.11.2024, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 120 Min., Buch: Steve McQueen, Kamera: Yorick Le Saux, Schnitt: Peter Sciberras, Musik: Hans Zimmer, Produktion: Steve McQueen, Tim Bevan, Anita Overland, Michael Schaefer, Adam Somner, Verleih: Apple TV+, Besetzung: Elliott Heffernan (George), Saoirse Ronan (Rita), Harris Dickinson (Jack), Paul Weller (Gerald), Benjamin Clémentine (Ife), Kathy Burke (Beryl) u. a.
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