Spirit in the Blood
Im Kino: Wiesen, Wälder, Hinterland. Eine junge Frau wird tot aufgefunden, als Emerson in die dort ansässige, strengreligiöse Community kommt.
Das Kinoplakat zu „Spirit in the Blood“ schlägt markige Töne an: „Stranger Things“ trifft „Stand By Me“, heißt es da etwas verführerisch. Die beliebte Netflix-Serie und die Stephen-King-Adaption aus dem Jahr 1986 haben durchaus Gemeinsamkeiten mit dem Debüt der in Hamburg lebenden Kanadierin Carly May Borgstrom. Hier wie dort stehen junge Menschen im Mittelpunkt, die ihren Platz in der Welt suchen. Und überall liegt etwas Rätselhaftes in der Luft. Besonders der Verweis auf „Stranger Things“ weckt jedoch falsche Erwartungen. Von einem nostalgisch durchtränkten Blick ist „Spirit in the Blood“ nämlich weit entfernt. Muster des Horror- und Mystery-Genres verwendet die Regisseurin zwar, reizt sie aber nie auf konventionelle Weise aus. Warum? Ganz einfach: Weil es ihr vor allem darum geht, das Empfinden ihrer weiblichen Hautfiguren spürbar zu machen.
Schauplatz des Films ist eine von Wiesen und Wäldern umgebene tiefreligiöse Community irgendwo im kanadischen Hinterland. Die Rollen innerhalb dieser abgeschotteten Gruppe sind klar verteilt. An der Spitze steht Pastor Carl. Er gibt die Richtung vor, hält seine Anhänger*innen auf Kurs. Wer Grenzen überschreitet, Gebote missachtet, muss mit einer Bestrafung rechnen. In einer Szene beispielsweise presst der Oberhirte ein paar von ihm ausgemachte Sünderinnen an sich, bis sie ohnmächtig zu Boden sinken. Überhaupt haben die Männer das Sagen. Frauen dürfen bei wichtigen Entscheidungen nicht mitreden, sollen Kinder kriegen und sich brav in die häusliche Sphäre zurückziehen.
Carly May Borgstrom, die auch das Drehbuch schrieb, gelingt in der Darstellung der sektenartigen Gemeinschaft ein interessanter Spagat. Im Gegensatz zu vielen ähnlichen Filmen verzichtet „Spirit in the Blood“ weitgehend auf dicke Pinselstriche, grelle Farben. Und doch sind die Zwänge des patriarchalen Systems jederzeit greifbar. In eben diese einengende Welt kommt die 15-jährige Emerson, deren Vater ein Rückkehrer ist.
Dass die Teenagerin eine lebhafte Fantasie hat, deutet die Regisseurin schon früh an. Möglicherweise sieht sie Dinge, die gar nicht existieren. Etwa ein mit Blättern und Zweigen behängtes Monster im Wald? Fakt ist jedenfalls, dass eine vermisste junge Frau aus der Gemeinde plötzlich tot aufgefunden wird. Das Werk eines Pumas, wie die Männer rasch verkünden. Ihrer Bestimmung folgend, blasen sie zur Jagd auf das vermeintlich umherstreifende Raubtier.
Emerson, die in der Schule gleich zum Ziel von Mobbingattacken wird und sich auch sonst in der neuen Umgebung unwohl fühlt, freundet sich währenddessen mit der unangepassten Delilah an. Bis zu diesem Punkt wirkt der Film etwas holprig. Dann aber findet er seinen Rhythmus, da er zum Kern seiner Geschichte vordringt. Emerson, Delilah und einige andere Mädchen, die der Unterdrückung überdrüssig sind, wollen, inspiriert von einem Comic, ihre dunklen Kräfte entfesseln und die unheimliche Blätter-Kreatur aus dem Wald besiegen. Statt ängstlich zu warten und den Männern das Feld zu überlassen, heißt es: aktiv werden.
Dazu bringt sich die Clique in einen ekstatischen Zustand. Ganz bewusst gehen die Jugendlichen in den Wald, den sie nun eigentlich nicht mehr betreten sollen, tanzen ausgelassen, bemalen ihre Gesichter, suchen nach dem wilden Tier in sich. Die flirrenden, der Natur eine überweltliche Note gebenden Bilder von Kamerafrau Zamarin Wahdat transportieren die Energie und den Freiheitsdrang der jungen Frauen direkt in den Kinosaal. Endlich wollen sie die Fesseln abwerfen, um das Leben zu genießen und sich auszuprobieren. Vielleicht knistert es sogar zwischen Emerson und Delilah. Eine aufkeimende Liebe deutet sich zumindest an. Doch wie an manch anderen Stellen bleibt „Spirit in the Blood“ auch hier eher vage. In einem Punkt gibt es am Ende allerdings eine klare Antwort, die das toxische System der Gemeinde noch einmal in den Fokus rückt.
Christopher Diekhaus
Deutschland, Kanada 2024, Regie: Carly May Borgstrom, Kinostart: 07.11.2024, FSK: ab 16, Empfehlung: ab 16 Jahren, Laufzeit: 98 Min., Buch: Carly May Borgstrom, Kamera: Zamarin Wahdat, Musik: Dorian Behner, Paul Timmich. Schnitt: Julia Kovalenko, Silke Olthoff, Produktion: Noah Segal, Verleih: Weltkino Filmverleih, Besetzung: Summer H. Howell (Emerson Grimm), Sarah-Maxine Racicot (Delilah Soleil), Greg Bryk (Julian Grimm), Michelle Monteith (Anna Grimm), Michael Wittenborn (Pastor Carl) u. a.
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