Leben XXL
Entdeckt beim „Schlingel“: Durch dick und dünn. Der Gewinner in der Kategorie Animationsfilm des Deutschen Instituts für Animationsfilm DIAF.
Jetzt ist es amtlich – Benjamin ist zu dick. Zwar wusste der Junge schon vorher, dass er adipös ist, aber als die Schulärztin ihm einen Brief mitsamt Diätplan mit nach Haus gibt, gerät Ben in eine Identitätskrise. Zumal er sich gerade in die sympathische Klara verliebt hat, die ihn immer wieder vor ihren drei Brüdern beschützt, die Ben wegen seines Gewichts mobben. Dabei hatte er bis jetzt eigentlich keine Probleme, im Gegenteil. Benjamin spielt mit seinem besten Freund Erik in einer Band, für die er die mitreißenden Texte schreibt. Er ist fantasievoll, malt gerne und hat immer einen flotten Spruch auf den Lippen. Er kocht mit Begeisterung und isst sehr gerne. Und nun das! Aber um seiner neuen Liebe willen und damit er im Sport vielleicht mal über den Bock springen kann, beginnt er eine strenge Gemüsediät, die er nur durchhält, weil er an Klara denkt.
„Leben XXL“ knüpft als Puppenanimation an die alte Tradition der großen tschechischen Puppentrickfilme an, deren berühmtester Vertreter vielleicht immer noch Jiří Trnka (1912-1969) ist. Schon in den vergangenen Jahren präsentierte das Schlingel Filmfestival Entdeckungen wie „Tony, Shelly und das magische Licht“ oder „Im Himmel ist auch Platz für Mäuse“ aus Tschechien, die allesamt den Weg in den deutschen Verleih fanden. Das ist auch dem Coming-of-Age-Film von Kristina Dufková zu wünschen, der zeigt, dass Puppenanimation nicht automatisch etwas für kleine Kinder, sondern für alle, in diesem Fall besonders für Jugendliche ist.
Die Puppen in „Leben XXL“ sind nicht im klassischen Sinne „schön“ oder liebenswert, sondern haben eher etwas Kubistisches in ihrer Ausführung. Verwegene Gesichter, schiefe Münder, grell geschminkte Augen oder überdimensionierte Brillen, anachronistisch animiert, mit einem leicht ruckeligen Effekt in Szene gesetzt. Der Sound entspricht der Zielgruppe und legt einen beschwingten Drive vor. Von Hip Hop über gecoverte Popsongs bis hin zu eigenen Bandliedern: Der Rhythmus des Films ist äußerst kurzweilig, verstärkt durch die dramaturgisch spannend erzählte Geschichte. Wir blicken ins Innere eines übergewichtigen Jugendlichen, der mit seinen Dämonen ringt und mit den Anfeindungen nicht nur einzelner Mitschüler, sondern auch des Sportlehrers zu kämpfen hat. Tauchen diese Ängste auf, wandelt sich die Stop-Motion in farbige Wasserfarbenbilder, die über die Leinwand vibrieren. So werden uns Bens Probleme einmal mehr deutlich, denn in einer Welt, die voll und ganz auf bestimmte Schönheitsideale ausgerichtet ist, liegt sein Körper wie auf einem Präsentierteller. Schließlich hat er diesen immer dabei. Und der bringt ihn in bestimmten Situationen auch an seine Grenzen. Sportlich kann Benjamin mit anderen nicht mitzuhalten. Und wenn er in der Wasserrutsche im Schwimmbad stecken bleibt, ist das eine maximale Demütigung, bei der alle zusehen, auch Klara.
Einfühlsam bringt uns der Film Bens Gefühlswelt nahe und wie es Menschen ergeht, die Gewichtsprobleme haben. Dazu noch die Pubertät, die alles noch viel komplizierter macht und die Emotionen hochkochen lässt. Als Klara deutlich macht, dass sie nicht in ihn verleibt ist, sondern nur mit ihm befreundet sein will, gerät Benjamin in eine tagelange depressive Stimmung, aus der ihn nur Papas neue Freundin holen kann, die ihm von ihren eigenen Problemen erzählt und ihm dadurch zeigt, dass es sich lohnt, seine Krise zu überwinden. Außerdem darf er seine Band nicht hängen lassen. Also dann! Sein letzter Song ist die Coverversion von Elton Johns „Rocketman“, ein diskreter Hinweis auf einen Star, der ebenfalls dick war und – ob dick oder dünn – Tolles geschaffen hat. Und wir sind uns sicher, dass auch Ben es gelingen wird, sich so zu akzeptieren wie er ist.
Katrin Hoffmann
Diese Kritik wurde im Rahmen der Berichterstattung über die Aufführung des Films beim Schlingel 2024 verfasst.
Život k sežrání / Living Large - Tschechische Republik, Slowakei, Frankreich 2024, Regie: Kristina Dufková, Festivalstart: 24.09.2024, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 12 Jahren, Laufzeit: 80 Min., Buch: Petr Jarchovsky, nach dem Roman von Mikaël Ollivier, Kamera: Václav Fronk, Schnitt: Matěj Beneš, Musik: Michal Novinsk, Produktion: Barletta Productions, Verleih: Gebeka International, Stimmen: Hugo Kovác (Ben), Sebastian Pöthe (Erik), Agáta Tandlerová (Klara)
Altersempfehlung 10-13 Jahre
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