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Tandem – In welcher Sprache träumst du?

Im Kino: Fanny & Lena, Strasbourg & Leipzig. Und eine Antwort auf die Frage, wie es sich anfühlt, die Zeit zu verlieren.

Pilze mit Schokoladenumhüllung, aber für jede nur einen halben. Bei aller Begeisterung für den Moment nicht haltlos, sondern kontrolliert fallen, ein Hin- und Herschwingen zwischen Kampf und Fallenlassen, geballter Faust und gelassenem Rausch. Aber die Kamera, die Perspektive des Films, geht nicht mit in den Rausch, sondern begleitet die jungen Frauen in diese Erfahrung hinein – neugierig, aber stets ein wenig distanziert. Nicht kühl, im Gegenteil: Gerade nachts werden die Farben sogar kräftiger. Offen zuschauend, sympathisierend, so ist der Blick von Claire Burger in „Tandem – In welcher Sprache träumst du?“.

Fanny kommt aus Strasbourg zu ihrer Brieffreundin Lena zu Besuch nach Leipzig, aber die will sie eigentlich gar nicht unbedingt dahaben – es ist eher ein Arrangement der Mütter, und Fanny soll aus ihrem Umfeld einmal heraus, wird an ihrer Schule gemobbt. Das, so stellt sich ganz spät heraus, ist von den vielen wilden Geschichten, die sie erzählt, die einzige Wahrheit. Mythomanie, so erklärt es die Mutter ihrer überrumpelten, dann schon längst verliebten Tochter Lena, ist das Bedürfnis, Lügengeschichten zu spinnen. Meist nur kleine Bemerkungen, die dann aber zu größeren Netzen werden, wenn Fanny nicht mehr zurück kann hinter die ersten Erfindungen.

Aber erst einmal also Leipzig: Lena, politisch aufgeweckt und engagiert, zeigt Fanny die Nikolaikirche; das schüchterne Mädchen aus dem Elsass ist fasziniert von der so selbstbewusst auftretenden Deutschen. In deren Leben es aber auch genug knirscht: Die Mutter ertränkt ihre Frustrationen in reichlich Weißwein, die Patchworkfamilie hat nicht gehalten, und die Großeltern hängen noch Ideen und vor allem Autoritarismen der DDR nach.

Gemeinsam im Whirlpool abhängend und redend kommen sich die beiden näher, schleicht Fanny sich in Lenas Träume; der Film wechselt dann, nach einer anderen berührenden Zuneigungsbekundung, zum Gegenbesuch in Strasbourg, wo sich die beiden auf die Suche nach Fannys Schwester begeben, die Fanny auf Videoaufnahmen einer Demo im Schwarzen Block gesehen haben will. Bis eben irgendwann die Gespinste zusammenkrachen und unklar wird, was bei Fanny eigentlich noch Wahrheit ist und was nicht. Kann das gut gehen? Das Ende bleibt offen – viele Fragen ungeklärt, die Liebe vage und vorläufig bejaht.

Dieses Vorläufige, Tastende, Suchende ist das, was „Langue étrangère“ ausmacht. Vielleicht betont der Originaltitel noch etwas mehr die durch Sprache erzeugte Verbindung und schließt zugleich die großen Unterschiede ein, wie und wofür Lena und Fanny Sprache nutzen. Es sind zwei junge Frauen, die in einem zusammenwachsenden und zusammenwollenden Europa leben, Grenzkontrolle ist hier eher eine Überraschung und Disruption des Träumens von Gemeinschaft. Beide wissen, Freude und Verzweiflung der Jugend, noch nicht so recht, wohin – Fanny ist davon eher verunsichert, Lena sucht sich Rettung in klaren Positionen und Konfrontationen. 

Und zugleich sind beide, sind alle Figuren geprägt von den zahllosen Krisen und Verwerfungen der vergangenen Jahrzehnte; Mauerfall, Migration, deutsch-französische Freundschaft. Das bringt jedoch keine völlige Verunsicherung mit sich: Lena wie Fanny stehen den Haltungen ihrer bürgerlichen Elternhäuser (so brüchig die auch sein mögen) dann doch gelassen gegenüber, mitten im Europäischen Leben stehend.

Die Unsicherheit ist mehr subkutan, und der Film spiegelt das, indem er die gemeinsame Zeit der beiden Protagonistinnen in ein Gefühl taucht, in dem unklar ist, wie schnell die Zeit vergeht: Manches zieht sich ewig, manches ist rasch vorbei. Die Zuschauer*innen verlieren das Gespür für die Zeit, und dann vergeht eine Ewigkeit nur mit Anschauen, sich Berühren, ersten Küssen. Jugend, so leicht und so schwer.

Rochus Wolff

Übrigens: Ein Porträt von Léa Mysius, die hier am Drehbuch mitgearbeitet und als Regisseurin unter anderem mit „Ava“ begeistert hat, finden Sie in unserer Rubrik „Hintergrund“.

© Port au Prince
16+
Spielfilm

Langue étrangère - Frankreich, Deutschland, Belgien 2024, Regie: Claire Burger, Kinostart: 24.10.2024, Homevideostart: 28.03.2025, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 16 Jahren, Laufzeit: 105 Minuten, Buch: Claire Burger & Léa Mysius, Kamera: Julien Poupard, Musik: Rebeka Warrior, Schnitt: Claire Burger & Frédéric Baillehaiche, Produktion: Marie-Ange Luciani, Verleih: Port-au-Prince, Besetzung: Lilith Grasmug (Fanny), Josefa Heinsius (Lena), Nina Hoss (Lenas Mutter Suzanne), Chiara Mastroianni (Fannys Mutter Antonia), Jalal Altawil u. a.

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