Der wilde Roboter
Im Kino: Roboter Roz strandet auf einer Insel und kümmert sich um ein Gänseküken. Verhaltensforschung trifft auf Künstliche Intelligenz.
Können Roboter Gefühle entwickeln, und geht von ihnen eine Gefahr für den Menschen aus? Diese Fragen sind fast so alt wie das Science-Fiction-Genre – und werden gerade heute immer drängender. Denn irre schnell sind die Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI). Immer neue lernfähige Hochleistungsmaschinen oder -programme fluten den Markt, ohne dass ihr Einsatz rechtlich klar geregelt wäre. Betroffen ist auch das Kino, das sich in einigen Jahren durch KI massiv verändern könnte. Werden Drehbücher irgendwann nur noch von einer Software geschrieben? Und müssen Schauspieler*innen digital erschaffenen Wesen Platz machen? Unmöglich scheint es nicht.
In der Filmindustrie sorgen derartige Vorstellungen für große Unruhe, wie der Hollywood-Streik von 2023 zeigte. Im letzten Jahr stellten Autor*innen und Darsteller*innen für mehrere Monate ihre Arbeit ein, um ihre Rechte zu betonen, und forderten eindeutige Bestimmungen für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz. Nicht nur abseits der Leinwand rückt das Thema KI zunehmend in den Mittelpunkt. Immer mehr Filme bauen es ganz konkret in ihre Geschichten ein und stellen interessante Fragen. So auch „Der wilde Roboter“, der neue Animationsstreifen aus dem Hause DreamWorks, der auf Peter Browns gleichnamigem Roman basiert.
Absolute Gegensätze finden hier auf ebenso berührende wie witzige Weise zusammen. Auf der einen Seite steht ein hochintelligenter Roboter namens ROZZUM 7134, kurz Roz genannt, der nach einem Unwetter auf einer menschenleeren, naturbelassenen Insel strandet. Auf der anderen Seite: ein Gänseküken, das seine Familie verloren hat und allein nur schwer überleben könnte. Roz, in der deutschen Synchronfassung warmherzig gesprochen von Ex-Tagesschau-Moderatorin Judith Rakers, tut nach ihrer Ankunft zunächst das, was eine Maschine nun mal tun würde: ihrer Programmierung folgen. Jedem Tier, das ihr über den Weg läuft, bietet sie ihre vielfältigen Dienste an. Doch alle Kontaktversuche scheitern, da die kleinen und großen Bewohner der Insel Roz für ein Monster halten. Regisseur und Drehbuchautor Chris Sanders zündet bereits zu diesem frühen Zeitpunkt ein Feuerwerk an schrägen Missverständnissen und irrwitzigen Slapstickeinlagen, die bestens unterhalten.
Als Roz versehentlich ein Gänsenest zerstört, aus dem nur ein einziges Ei übrigbleibt, nähern wir uns dem Herzstück der Handlung: nämlich der Beziehung zwischen dem Roboter und dem rasch schlüpfenden Küken. Dank einer Opossum-Mama erkennt die Maschine, dass sie nun ihre Aufgabe gefunden hat. Immerhin braucht der auf den Namen Brightbill getaufte kleine Vogel Nahrung und muss schwimmen und fliegen lernen. Ansonsten kann er die Reise ins Winterquartier nicht antreten. Unterstützung bei der Erziehung erhält Roz von einem Fuchs namens Fink.
Mit viel Feingefühl beschreibt „Der wilde Roboter“ die Annäherung der beiden so unterschiedlichen Hauptfiguren, die sich gegenseitig so viel geben. Brightbill, der wegen seiner geringen Größe und seiner Verbindung zum angeblichen Monster Roz von anderen Gänsen geärgert wird, tritt tatsächlich den Flug in den Süden an. Der Roboter wiederum begreift als Adoptivmutter und Freundin, was es wirklich heißt, für ein anderes Wesen da zu sein, ja Liebe zu empfinden.
Und nicht nur das. Ausgerechnet die Maschine ermuntert die Tiere auf der Insel zusammenzuhalten. Gefahr geht in „Der wilde Roboter“ nicht von der Technik an sich aus. Als eigentliche Bedrohung erweist sich der gesichtslose Megakonzern, zu dem die Titelheldin gehört und der sich bloß für die von ihr gewonnenen Daten interessiert. Die Kritik an den Praktiken großer Unternehmen wie Google mündet in einen übertrieben krawalligen Showdown, der nicht so recht zum Rest des Films passen mag.
Verschmerzen lässt sich das Actionspektakel allerdings ganz gut. Zu liebenswert ist der mit seinen geschmeidigen Rundungen knuffig aussehende Roboter. Zu berührend sind manche Momente zwischen ihm und Brightbill, zu eindrucksvoll die animierten Bilder des urigen Inselschauplatzes. Und zu treffsicher ist der Humor, der manchmal sogar etwas schwärzer ausfällt. Zum Beispiel wenn der vermeintliche Tod eines ihrer Kinder die Opossum-Mutter nicht zu stören scheint, weil sie so weniger Stress hat. Kleine, „böse“ Scherze über das raue Leben in der freien Natur gibt es in „Der wilde Roboter“ immer wieder. Auch sie machen die neue DreamWorks-Arbeit zu einer aufregenden Kinoerfahrung.
Christopher Diekhaus
USA 2024, Regie: Chris Sanders, Kinostart: 03.10.2024, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 9 Jahren, Laufzeit: 102 Min., Buch: Chris Sanders nach dem gleichnamigen Roman von Peter Brown, Kamera: Chris Stover, Schnitt: Mary Blee, Musik: Kris Bowers, Produktion: Jeff Hermann, Verleih: Universal Pictures Germany, Besetzung: Judith Rakers (Sprecherin von Roz)
Altersempfehlung 6-9 Jahre
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