Ein neues Leben
Im Kino: Hier stimmt etwas nicht! Warum die reichen Eheleute seine Behandlungskosten übernommen haben, findet der 12-jährige Gadeha noch heraus.
Mit seinen Freunden hängt Gadeha gerne am Strand ab, beobachtet Frauen und albert herum. Als die Jungen ein Handy klauen, kommt es auf der Flucht zu einem folgenschweren Unfall. Gadeha landet im Krankenhaus, wo seine mittellose Mutter Borkana verzweifelt um eine Behandlung ihres Sohnes bittet. Kein Geld, keine Behandlung. Ein Gesundheitssystem, das finanziell benachteiligte Menschen durchs Raster fallen lässt. Regisseur Anis Lassoued deutet schon in den ersten Minuten an, worum es ihm in seinem Spielfilmdebüt auch gehen wird: um das Verhältnis von Arm und Reich im gegenwärtigen Tunesien.
Als Gadeha wieder zu sich kommt, staunt er nicht schlecht. Denn plötzlich hat sich alles um 180 Grad gedreht. Malika und Moez – entfernte Verwandte, so heißt es – haben nicht nur die Krankenhauskosten übernommen. Gadeha, seine Mutter und seine kleine Schwester dürfen außerdem ein Haus auf dem Anwesen des wohlhabenden Paares beziehen. Nichts soll seiner Genesung im Weg stehen.
Hier stimmt doch irgendetwas nicht, denkt sich Gadeha. Die Ungläubigkeit des Protagonisten bringt Hauptdarsteller Yassine Tormsi überzeugend zum Ausdruck. Immer wieder zeichnet sich auf seinem Gesicht große Verwunderung ab. Der Wandel irritiert ihn. Das titelgebende neue Leben scheint zu schön, um wahr zu sein. Fragen drängen sich auf: Ist die in hellen, klaren Bildern inszenierte Sorglosigkeit vielleicht nur imaginiert? Handelt es sich um eine Koma- oder Todesvision? Kurz hält man eine solche Interpretation für möglich. Das Auftauchen von Malikas und Moez' Sohn Oussama lenkt die Aufmerksamkeit dann aber in eine ganz andere Richtung.
Auch Oussama muss sich von einem medizinischen Eingriff erholen. Schnell entsteht zwischen ihm und dem etwa gleichaltrigen Gadeha eine Freundschaft. Dass die Zwei noch mehr verbindet, verschleiert das Drehbuch nicht. Als Zuschauer*in ahnt man früh, welche Enthüllung auf die Kinder wartet: Borkana hat für eine Niere ihres Sohnes die medizinische Versorgung von Malika und Moez erhalten. Gadeha und Oussama rettet dieser Deal das Leben. Aber wie ist dieser moralisch einzuordnen? Wie ist zu es zu bewerten, dass diese Entscheidung ohne die Zustimmung der Kinder getroffen wurde? Inwiefern hat das reiche Paar die Situation der bedürftigen Borkana ausgenutzt? Welche Verantwortung trägt Borkana?
Deutlich wird in jedem Falle, dass aus dem Organhandel ein merkwürdiges Abhängigkeitsverhältnis entsteht. Die Gönner*innen sind dankbar, zeigen sich großzügig. Gleichzeitig vereinnahmen sie Gadeha permanent, betonen, dass er nun zu ihrer Familie gehöre. Ob er das will, danach fragt niemand. Wie weit der neue Besitzanspruch wirklich reicht, offenbart sich dann, als Gadeha die Wahrheit erfährt und mit Wut und Verbitterung antwortet.
In Gadehas Gefühlswelt spielt außerdem sein nach Italien geflüchteter Vater eine große Rolle. Er vermisst ihn. Auf Nachfragen reagiert die Mutter stets abweisend – was Gadeha nur noch mehr bestärkt, ihn wiedersehen zu wollen. Dass der 12-Jährige seinen Vater unberechtigterweise idealisiert, stellt der Film irgendwann – leider ein wenig im Vorbeigehen – fest. Kritik übt der Regisseur nämlich auch am Männlichkeitsbild unserer Hauptfigur. Bezeichnend etwa, wenn Gadeha mit seinen alten Freunden durch die Gegend braust, Frauen anmacht und auf ihre Körper reduziert.
„Ein neues Leben“ hat Ecken und Kanten, taucht in menschliche Abgründe ein und bleibt dabei immer nah an den Charakteren. Obwohl krasse Eskalationen möglich wären, erzählt Anis Lassoued weitgehend unaufgeregt. Dank natürlicher, packender Schauspielleistungen wühlt das emotionale Chaos der Geschichte dennoch auf.
Christopher Diekhaus
Gadeha: A Second Life - Tunesien 2022, Regie: Anis Lassoued, Kinostart: 20.06.2024, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 96 Min., Buch: Anis Lassoued, Chema Ben Chaabene, Kamera: Amine Messadi, Musik: Selim Arjoun, Schnitt: Kahéna Attia, Seifallah Ben Othman, Sofiene Charrad, Produktion: Anis Lassoued, Chema Ben Chaabene, Verleih: Landfilm gGmbH. Besetzung: Yassine Tormsi (Gadeha), Dorsaf Quertatani (Borkana), Chema Ben Chaabene (Malika), Ahmed Zakaria Chiboub (Oussama), Jamel Laroui (Moez) u. a.


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