Dancing Queen
Im Kino: Die zwölfjährige Mina entdeckt ihre Liebe zum Tanz, obwohl keiner an sie glaubt. Erfrischend positiver Coming of Age Film.
Tanzen! Mina könnte es doch einmal mit Tanzen versuchen, das war ihr bislang noch nie in den Sinn gekommen. Sie ist in ihrer Klasse die beste Schülerin und außer ihrem einzigen Freund Markus mag sie niemand besonders gerne. Vielleicht weil sie mit ihrer Brille, ihrer etwas rundlichen Figur und dem altbackenen Outfit nicht dem angesagten Style ihrer Klassenkameradinnen entspricht. Sie lernt gerne, trifft sich mit Markus oder unterhält sich mit ihm über Walkie-Talkie - das ist ihr Leben. Dann wird zu Beginn des 7. Schuljahres eine Hip-Hop Challenge ausgerufen und weil Mina vom coolen Edwin, in den sie sich ein bisschen verknallt, dazu eingeladen wird, will sie sich für das Schulteam bewerben. Außerdem ziehen die Breakdance Vibes Mina gleich in ihren Bann und lassen den Körper wie von ganz allein los swingen. Kaum schaut sie sich zuhause dazu ein YouTube Video an, steht sie auch schon auf dem Küchentresen und rockt los. Solche Gefühlsexplosionen sind ihr bisher völlig unbekannt.
Mit den Herausforderungen, die diese Challenge mit sich bringt, hat Mina allerdings nicht gerechnet. Ihr Äußeres ist nicht Hip-Hop like und Edwin findet es gar nicht gut, ihr als Breakdance Partner zugewiesen worden zu sein. Wir können Minas verzweifelte Versuche beobachten, irgendwie dazu zu gehören und den Wunsch, sich aus ihrem alten Leben zu verabschieden. Gleichzeitig entfernt sie sich damit auch von Markus. Einfach mal eine andere Identität ausprobieren. Kann das gutgehen wenn man einen Stil lediglich kopiert, ihn aber nicht wirklich lebt?
Es ist spannend zu sehen, wie Mina von dieser für sie neuen Welt fasziniert ist und trotzdem erschrocken feststellt, dass sie tatsächlich Talent zum Tanzen hat, sonst wäre sie nicht in die Truppe aufgenommen worden, die für den Wettkampf antritt. Sie muss natürlich viel mehr üben als die anderen, denn bis jetzt kennt sie keinen einzigen Move dieser Tanzrichtung und auch die Breakdance Terminologie ist ihr fremd. Aber heißt das auch, dass sie sich äußerlich verändern und neu stylen muss? Obendrein gibt Edwin ihr unmissverständlich zu verstehen, dass ein paar Kilo weniger Bedingung sind, um überhaupt eine Chance bei dem Wettbewerb zu haben.
Der Film knüpft an die Gefühlswelten von Pubertierenden an, die auf der Identitätssuche sind: Der Sehnsucht nach Bestätigung, nach Freunden und gleichzeitig überfordert durch die erste zarte Liebe, die einen ganz unverhofft trifft. Daraus folgt nicht zuletzt das Verlangen, sich von den Eltern zu distanzieren. All das sind Minas Themen, die plötzlich auf sie einprasseln. Sie provoziert mit ihrer offensichtlichen Veränderung vor allem ihre Mutter, die nicht verstehen will, was Mina am Tanzen fasziniert und wieso sie plötzlich blaue Strähnchen im Haar hat. Alte Auseinandersetzungen mit deren eigener Mutter brechen wieder auf, denn die Oma unterstützt Mina vorbehaltlos. So geht es auch um einen Konflikt über die Generationen hinweg, in dem Enkelin und Oma ein Band knüpfen gegen Minas Mutter. Oma war in ihrer Jugend selber Tänzerin, nun übt sie heimlich mit Mina und gibt ihr auch sonst wertvolle Tipps, zum Beispiel was Jungs betrifft. Sie nimmt Mina ernst, mit all ihren Zweifeln und Problemen. Es ist völlig okay, sich nicht dem angesagten Mainstream anzubiedern, sondern einfach man selbst zu sein und stolz die Bühne zu rocken, auch wenn man angeblich ein paar Kilo zu viel wiegt.
Die Tanz- und Übungssequenzen rhythmisieren die Geschichte, Hip-Hop Songs und nicht zuletzt der titelgebende Ohrwurm „Dancing Queen“ ziehen die Zuschauenden hinein in Minas Welt, die momentan nicht besonders einfach erscheint. Die Darstellerin Liv Elvira Kippersund Larsson lässt uns in ihrer natürlichen Frische und zeitweiligen Naivität teilnehmen an ihren Zweifeln, ihrem Straucheln und sturen Weitermachen - egal welche Steine ihr im den Weg gelegt werden. Zwischenzeitlich hatte sie ihre Brille gegen Kontaktlinsen ausgewechselt; es ist beruhigend, dass sie die Brille am Schluss wieder auf der Nase hat, damit hat sie in jedem Fall den besseren Durchblick.
Der Regisseurin Aurora Gossé ist ein erfrischend positiver Coming of Age Film gelungen, der schon viele Preise gewonnen hat, unter anderem den norwegischen Amanda Award for Best Children's Film, den Kinderfilmpreis der Nordischen Filmtage Lübeck, sowie den Preis für den besten Langfilm beim Lucas Festival in Frankfurt. Es ist immer wieder erstaunlich, mit welch großer Selbstverständlichkeit vermeintlich schwierige Themen in Kinder-und Jugendfilmen mit einem Augenzwinkern angepackt werden können, ohne peinlich zu werden oder in Klischees abzugleiten, gleichzeitig mit viel Spaß umgesetzt. Diese Chuzpe würde man sich häufiger auch für deutsche Produktionen wünschen.
Katrin Hoffmann
Norwegen 2023, Regie: Aurora Gossé, Kinostart: 18.07.2024, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 10 Jahren, Laufzeit: 90 Min., Buch: Silje Holtet, Kamera: Åsmund Hasli, Schnitt: Helge Billing, Musik: Mimmi Tamba, Produktion: Filminvest, Scandinavian Film Distribution, Talent Norge, Wilhelmsen Stiftelse, Norwegian Film Institute, Hamar Kommune, Verleih: Der Filmverleih GmbH, Besetzung: Liv Elvira Kippersund Larsson (Mina), Sturla Harbitz (Markus), Viljar Knutsen Bjaadal (Edwin), Andrea Bræin Hovig (Minas Mutter), Anne Marit Jacobsen (Minas Großmutter), Anders Baasmo (Minas Vater)
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