Pariah
Alike findet einen empowernden Weg, sich zu zeigen.
Ein Nachtclub. Frauen in knappen, glitzernden Bikinis bewegen sich an Pole Dance Stangen unter lauten Beats auf der Bühne. Das Publikum, ausschließlich FLINTA*, also cis Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, non-binäre, trans und agender Menschen. Unter ihnen sitzen Alike (Adepero Oduye) und ihre beste Freundin Laura (Pernell Walker). Beide tragen weite Pullis und Basecaps, sie sind Butches. Doch während Laura Frauen um sich schart, ist die 17-jährige Alike schüchtern. So fasziniert sie auch vom Geschehen im AG’s, dem „Aggressiven Lesben“ Club, ist, sie findet keinen Zugang dazu. Auch wenn sie weiß, wer sie ist: eine Lesbe und eine Poetin.
Doch der Sequenz im Club folgt eine Szene im Bus, zurück nach Brooklyn, wo Alike bei ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester lebt. Laura steigt aus, Alike bleibt allein im Bus, setzt das Basecap ab. Dann werden der weite Pulli und das gestreifte T-Shirt ausgezogen. Darunter trägt Alike ein enges, helles Shirt. Schließlich steckt sie sich Ohrringe an. Ihr Blick schweift nach außen und sie ist wie erlöscht. Dieses Bild schmerzt. Wir spüren: Das ist nicht sie, das ist ihre Maskierung. Die braucht sie zuhause, denn Mutter Audrey (Kim Wayans), Krankenschwester und strenge Kirchengängerin, und Vater Arthur (Charles Parnell), Polizist, wissen nichts davon.
Dee Rees‘ Entscheidung des Titels für ihren Debütfilm ist mit Bedacht gewählt. Das Wort „Pariah“ bedeutet – wie gleich zu Anfang steht – eine Person ohne Status. Ein abgelehntes Mitglied der Gesellschaft. Eine Ausgestoßene. „Pariah“ ist ein Coming-of-Age, aber kein Coming-Out-Film. Hier geht es nicht darum, wie eine Jugendliche entdeckt, dass sie lesbisch ist, sondern was sie braucht, um ihre Maskierung abzulegen und die Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen.
„Heartbreak opens to the sunrise. For even breaking is opening. And I’m broken I’m opening. See the love shines into my cracks. See the lights shine up to me.” So dichtet Alike ihr Leben, doch diese Textzeilen kennt nur ihre Lehrerin. Alike kann bei Laura und im Club so sein, wie sie sich fühlt. In der Schule ahnen manche Schüler*innen, dass sie lesbisch ist, doch zuhause traut sich Alike noch nicht, diesen Teil von sich zu zeigen. Denn auch wenn die Ehe ihrer Eltern nur noch Fassade ist, hält die Mutter an einem Bild von Familie fest, wie es von der Kirche diktiert wird. Nicht nur ihre Ehe will Audrey retten, sondern auch ihre Kinder. Dabei versucht sie sowohl ihre Kleidung als auch ihr Umfeld zu kontrollieren. Um Alike von Laura zu trennen, die Audrey für einen schlechten Umgang für ihre Tochter hält, stellt sie Alike Bina vor, die Tochter einer Arbeitskollegin und ebenfalls Kirchengängerin. Nach der anfänglichen Ablehnung entdeckt Alike, wie viel sie mit Bina (Aasha Davis) verbindet. Alike entfernt sich von Laura. Mit Bina kann sie über Musik und Bücher sprechen, sie kiffen zusammen und landen schließlich miteinander im Bett. Doch nach der ersten gemeinsamen Nacht lehnt Bina Alike ab, während Alike sich verliebt fühlt. Es ist eine tiefe Verletzung und dennoch wirft sie Alike nicht ganz aus der Bahn, sondern zurück zu Laura. Jetzt ist Alike bereit, sich den Eltern so zu zeigen, wie sie sich fühlt. Sie ist bereit die Ablehnung auszuhalten. Und für ein selbständiges Leben.
„I am not running, I’m choosing. Running is not a choice from the breaking. Breaking is freeing. Broken is freedom. I am not broken, I’m free.“ Mit diesen Worten verabschiedet sich die Protagonistin von ihrem Publikum. Das ist für alle, die sich wie Alike fühlen – ganz abgesehen vom Alter, empowernd.
Letícia Milano
Übrigens: „Pariah“ und andere tolle Filme sind Teil des Themendossiers „Gender & Lieben“. Werfen Sie doch mal einen Blick rein.
USA 2011, Regie: Dee Rees, Homevideostart: 16.09.2021, FSK: ab , Laufzeit: 86 Min., Buch: Dee Rees, Kamera: Bradford Young, Schnitt: Mako Kamitsuna, Musik: The Co-Stars, Produktion: Chicken And Egg Pic./MBK Ent./Northstar Pic./Pariah Feat., Besetzung: Adepero Oduye (Alike), Pernell Walker (Laura), Aasha Davis (Bina), Charles Parnell (Arthur), Sahra Mellesse (Sharonda)
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