Dumplin
Dolly Parton als Idol, eine Brosche und ein veränderter Blick - Dinge, die Willowdean helfen, als dicke Person bei Miss-Wahlen zu sich zu finden.
Wie die meisten Teenager ist auch Willowdean, genannt Will, von ihrer Mutter Rosie vollständig genervt. Die hängt nämlich immer noch dem, Jahrzehnte zurückliegenden, Sieg bei einer Miss Wahl hinterher und investiert ihre komplette Freizeit in die Vorbereitung und Durchführung ebensolcher Veranstaltungen. Doch die Mutter-Tochter-Beziehung wird nicht nur durch divergierende Interessen erschwert, denn Will ist im Gegensatz zur normschönen Rosie fett. Tägliches Mobbing durch Gleichaltrige hält der jungen Frau stets vor Augen, dass ihr Körper von jeglichem Schönheitsideal weit entfernt ist, und somit bei einer Miss Wahl nichts zu suchen hat. Von der Mutter entfremdet, hat Will in ihrer ebenfalls fetten Tante Lucy eine fürsorgliche Bezugsperson gefunden, die für das kleine dicke Mädchen einst nicht nur einen Safe Space aus Dolly Parton Partys erschaffen und sie ihrer fortan besten Freundin Ellen vorgestellt hat, sondern immer auch als selbstbewusstes Vorbild fungierte. Mit Lucys Tod verliert die heranwachsende Will nun diesen rettenden Anker und die bislang unterdrückte Sehnsucht nach der Anerkennung ihrer Mutter verwandelt sich in Wut. So kommt es, dass sich die dickköpfige Will schließlich für den anstehenden Schönheitswettbewerb anmeldet und damit noch weiteren unkonventionellen Teilnehmerinnen den Weg ebnet. Und was als reine Provokation beginnt, entpuppt sich als emanzipatorischer Akt.
„Dumplin‘“ ist als klassischer Teenager Dramödie erzählt, wobei Millies von Lucy geerbte Liebe zu Dolly Parton ein musikalisches Motiv liefert, das sich durch den gesamten Film zieht und ihm große Dynamik verleiht. Auch eine Love Story darf natürlich nicht fehlen, die jedoch im positiven Sinne eine Randnotiz bleibt, so dass Wills Entwicklung unabhängig und nicht wie in anderen Vertretern des Genres durch eine männliche Figur bedingt ist. Genrekonform ist auch die Formierung einer Outsider-Clique, also jenen jungen Frauen, die wie Will eigentlich nicht in das Bild der Miss Wahl passen: die sehr religiöse und ebenfalls fette Millie und Hannah, die sich obwohl so nicht explizit benannt auch als nichtbinäre Figur lesen ließe. Das charakterlich ungleiche Trio findet sich durch die ihnen gemeinsame Erfahrung der Ausgrenzung zusammen, während Wills Beziehung zu ihrer normschönen besten Freundin Ellen an den ungleichen Ausgangspositionen der beiden innerhalb des Wettbewerbs zu zerbrechen droht.
Doch sind diese Positionen wirklich so ungleich? Liegt die Ursache für Wills Abwehrhaltung gegen die Miss Wahl nicht viel mehr in ihrem eigenen Selbsthass begründet? „Dumplin‘“ beantwortet diese Frage seinem Genre entsprechend oberflächlich und vereinfacht: Erst als Will sich und ihren Körper vollständig akzeptiert und selbstbewusst präsentiert, kann sie nach außen Schönheit ausstrahlen, sich mit ihrer Mutter versöhnen und die Zuneigung ihres Arbeitskollegen Bo erwidern. Im Grunde interessanter als das „Schönheit kommt von Innen“-Narrativ ist der Umgang des Films mit der Miss Wahl an sich, die nicht als Produkt patriarchaler Strukturen abgeurteilt, sondern in der Gegenüberstellung mit einer Drag Show als Bühne für performative Selbstinszenierung charakterisiert wird: Letztlich geht es bei beiden Veranstaltungen um den spielerischen Umgang mit einer (Geschlechter)Rolle, nur dass die Drag Show in dieser Hinsicht leichter zu durchschauen ist. „I’m doing this for me, not for them“, bestärkt sich Hannah vor dem Auftritt bei der Miss Wahl und fasst damit das emanzipatorische Potential beider Bühnenevents treffend zusammen.
Der gutmütige Umgang mit dem Konzept der Miss Wahl, den Regisseurin Anne Fletcher hier mit ihrem Film an den Tag legt, ist aber auch diskutabel: In welchem gesellschaftlichen, patriarchalen oder gar misogynen Kontext findet dieser Wettkampf junger Frauen statt und welche Bilder von Weiblichkeit schreibt er mit welcher Konsequenz fort? Welche Rollenmuster hat die Mutter verinnerlicht und welche Körperbilder fördert sie? Der Film lädt auch dazu ein, familiäre Bindungen und deren Bedeutung in den Blick zu nehmen: Während Tante Lucy ihre Nichte bedingungslos akzeptiert, ist die Annäherung zwischen Mutter und Tochter eng mit Wills Bühnenperformance verbunden. Was bedeutet das für die Beziehung der beiden Frauen? Indem „Dumplin“ mit seiner Genrekonformität und dem musikalischen Motiv ein junges Publikum mit Leichtigkeit für sich einnehmen kann, schafft der Film eine unterhaltsame Bühne für eben jene ernsthaften gesellschaftlichen Themen.
Sophie Charlotte Rieger
Übrigens: „Dumplin“ und andere tolle Filme sind Teil des Themendossiers „Gender & Lieben“. Werfen Sie doch mal einen Blick rein.
USA 2018, Regie: Anne Fletcher, Homevideostart: 05.04.2019, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 12 Jahren, Laufzeit: 110 Min., Buch: Kristin Hahn, Kamera: Elliot Davis, Schnitt: Emma E. Hickox, Musik: Jake Monaco, Produktion: COTA Films/Echo Films, Verleih: Netflix, Besetzung: Danielle Macdonald (Willowdean "Dumplin" Dickson), Jennifer Aniston (Rosie Dickson), Odeya Rush (Ellen Dryver), Luke Benward (Bo), Dove Cameron (Bekah Colter)
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