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Maboroshi

Nicht älter werden, nirgendwo hinkönnen, eine in der Zeit eingefrorene Stadt. Und das passt vor allem ihnen nicht: den Jugendlichen!

1991 kommt es im Stahlwerk in der ländlich gelegenen japanischen Stadt Mifuse zu einem Zwischenfall, der den Ort von der Außenwelt abschneidet und ihn in der Zeit einfrieren lässt. Die Jahreszeiten ändern sich nicht mehr, die Menschen werden nicht älter. Während der lokale Priester Mamoru Sagami dies als göttliche Strafe auffasst, die nur durch Wohlwollen der Götter wieder aufgehoben werden kann, verzweifelt der Teenager Masamune, als die Zeit ins Land geht, zusehends an dem Zustand, in dem er und seine Freund*innen sich befinden. Sie werden nicht älter, sie können nirgendwo hin und überhaupt – was für eine Zukunft kann es für eine in der Zeit feststeckenden Stadt überhaupt geben? Eines Tages nimmt ihn eine Klassenkameradin, die Masamune nicht ausstehen kann, mit in einen geheimen Raum im Stahlwerk, wo er ein junges Mädchen trifft, dass sich wie unter Wölfen aufgewachsen benimmt und nur rudimentär der Sprache mächtig ist. Wer ist sie und ist sie womöglich der Schlüssel, um Mifuse aus seinem Dornröschenschlaf zu erwecken?

Der Anime „Maboroshi“, der in Japan ins Kino kam, bei uns (und vielen anderen internationalen Märkten) seinen Weg aber direkt auf die Streamingplattform Netflix fand, ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich etwas auf dem Papier besser anhört, als es dann in der finalen Umsetzung daherkommt.

Wunderschön anzusehen ist dieser Film, keine Frage. Technisch gibt es nichts zu beanstanden, die Animation ist flüssig, die Hintergründe oft eine Augenweide und die dem japanischen Zeichentrickfilm eigenen Effektanimationen von Rauch, Licht, etc. suchen Ihresgleichen. Inhaltlich aber zerfasert „Marboroshi“ allerdings quasi von Anfang an. Erzählerisch ist die eigentliche Prämisse, also das Zeiträtsel und seine möglichen Lösungen, seltsam unkonzentriert vorgebracht. Ganz bei sich ist der Film nur dann, wenn er nur Atmosphäre sein will. In seinen besten Momenten geht es nämlich nicht um das geheimnisvolle Mädchen, nicht um den seltsamen Priester, nicht um das Wie und Warum des Unfalls, sondern ganz und gar um die Menschen und wie sie mit der Situation umgehen. Melancholisch wird es dann, eine Schwere liegt auf den Charakteren, die von den wunderschönen Bildern konterkariert wird.

Hier offenbart sich auch, was aus „Marboroshi“ hätte werden können, wenn man sich mehr auf die Situation der Figuren konzentriert hätte, anstatt händeringend nach einer Erklärung für den Ist-Zustand zu forschen. So müssen die Menschen in dem Ort ihre Eigenschaften zum Zeitpunkt des Zwischenfalls immer wieder regelrecht pauken, weil eine zu drastische Veränderung zu einer Diskrepanz führen könnte, wenn sich ihre Zeit irgendwann einmal wieder der Normalzeit angleicht. Jahre gehen ins Land, aber alles muss nach Möglichkeit auf dem Stand von 1991 bleiben. Was für die ein oder andere Person, die sich gern ob der Zumutungen der Gegenwart in Nostalgie flüchtet, wie ein kleiner Traum klingt, verdonnert die Menschen in „Marboroshi“ aber zu einer Passivität, die vor allem den Jugendlichen nicht passt, nicht gefallen kann.

So flüchten sich Masamune und seine Freund*innen immer mehr in eher destruktives Verhalten, um der Tristesse des Alltags entkommen zu können. Die Allegorie ist dabei offensichtlich: Erwachsene diktieren Heranwachsenden ein nach ihrem Dafürhalten unumstößliches Konzept auf, dass aber nicht ihrem Wesen entspricht – und das womöglich auch nicht zur Klärung der Situation beiträgt, denn es ist erst die überbordende Emotionalität, die den Ist-Zustand anzukratzen vermag. Dabei lässt „Marboroshi“ außer Acht, dass es vielleicht gar keiner konkreten Erklärung bedurft hätte, wenn man eher auf die Karte der Emotionalität gesetzt hätte. Doch immer wieder kommt der Film von flirrenden Bildern zurück zu einer bemühten, „rationalen“ Erklärung, die aber am Ende des Tages vor allem sich selbst am besten gefällt: Schaut her, wie verkopft ich bin! So bleibt schließlich doch eher der Eindruck eines Films, der beständig immer genau die Abzweigung nimmt, die das Publikum unbefriedigt zurücklässt. Denn immer dann, wenn wir mehr über die Beziehungen der Figuren erfahren oder ihnen auch einfach nur bei ihrem Alltag zusehen möchten, kommt Sagami mit einer konfusen Seltsamkeit um die Ecke. Zirpen die Grillen, schwirrt die Luft, wird die Tragik des Ganzen greifbar, wartet schon der nächste deplatziert wirkende Gag. Da sind sie, die Bilder, in denen man sich verlieren kann, aber die fahrig und viel zu ausufernd erzählte Geschichte grätscht immer wieder dazwischen.

Jan Noyer

© Netflix
14+

Japan 2023, Regie: Mari Okada, Homevideostart: 15.01.2024, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 111 Min., Buch: Mari Okada , Kamera: Yusuke Tannawa, Schnitt:Ayumu Takahashi, Musik: Masaru Yokoyama , Produktion: Bushiroad/ Cygames/ Dentsu/ Kadokawa/ Lawson Group/ Legs/ Warner Bros. Pict. Japan , Verleih: Netflix, Besetzung: Kobayashi Daiki, Ayaka Saitō, Junya Enoki, Reina Ueda, Misaki Kuno, Yukiyo Fujii, Tasuku Hatanaka, Kento Hayashi

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