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Nackt über Berlin

Axel Ranisch macht Kinofilme, Löwenzahn und Operninszenierungen. Jetzt hat er eine Jugendserie gedreht.

Als die zwei 17-jährigen Schüler Jannik und Tai nachts auf ihren besinnungslos betrunkenen Rektor Lamprecht treffen, kommt Tai auf eine wilde Idee: Lass uns den Direx in seiner Smarthome-Wohnung festsetzen und die Kontrolle übernehmen. Gesagt, getan! Und weil so gut wie alle Personen in seinem Umfeld gerne auf die Anwesenheit Lamprechts verzichten, bleibt den beiden jugendlichen Außenseitern viel Zeit, diesem so richtig auf den Zahn zu fühlen. In einem ersten Schritt drehen sie ihm das Wasser ab. Es werden drastischere Schritte folgen!

Jannik versteht schnell, dass die Aktion mehr für Tai ist als ein kleiner Streich – es scheint einen Racheplan zu geben, dessen Motivation Jannik erst nach und nach verstehen soll. Gleichzeitig kämpft Jannik mit der Erkenntnis, dass er schwul ist und sich zu Tai hingezogen fühlt, während sein eigener Vater ihm am liebsten Testosteron spritzen möchte, um den Jungen „männlicher“ zu machen. Unangenehm!

Fast so unangenehm wie Lamprecht. Obwohl: Da die Serie sichergehen möchte und immer wieder betont, was für ein (Pardon!) Arschloch der Herr Rektor doch ist, verbringen wir gerade in den ersten der insgesamt sechs Folgen viel Zeit damit, dessen gescheiterte Ehe und das schlechte Verhältnis zum Teenie-Sohn kennenzulernen. Genau das macht ihn auf eine mitleidige Art sympathisch, untergräbt allerdings Tai und seine Motivationen, macht es deshalb schwer, sich auf Tais Perspektive einzulassen – was äußerst schade ist, da Tai doch eigentlich die interessantere Figur ist, und das weit jenseits seiner Erfahrungen mit Rassismus.

Jannik hat, wie wir wissen, derweil andere Probleme, um deren Willen seine Beteiligung an der „Entführung“ auch schnell in den Hintergrund rückt. Jannik ist mit sich beschäftigt, wird sich am Ende der Serie besser verstehen und zeigen können. Seine Coming- Out-Story ist schön erzählt und gibt Hoffnung, dass auch Gräben wie die zwischen ihm und seinem Vater überbrückt werden können. Ein Highlight ist neben dem Soundtrack wie die Musik eingesetzt wird, um Janniks Charakter und seine Entwicklung in außergewöhnlichen und liebevoll gestalteten Tagtraumsequenzen zu illustrieren.

Das Kernproblem von „Nackt über Berlin“ bleibt allerdings, dass die für sich genommen spannenden Elemente leider zu selten gut zusammenkommen, die interessanten Ansätze ins Leere laufen. Die Erzählung will, und das ist auch gut so, merklich mehr sein, kämpft aber zuweilen auch merklich damit, gleichzeitig Thriller, Drama und Komödie sein zu wollen. Dadurch entstehen tonale Unstimmigkeiten, die auch die fantastischen Schauspielenden nicht immer ausgleichen können. Axel Ranischs Jugendserie ist daher stellenweise ein ziemlich chaotischer Mix, punktet aber mit unterhaltsamen und sehr rührenden Momenten.

Len Klapdor

© WR/Studio.tv.film/Oliver Feist
16+
Spielfilm

Deutschland 2023, Regie: Axel Ranisch, Homevideostart: 05.10.2023, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 16 Jahren, Laufzeit: 6 Folgen á 45 Min., Buch: Axel Ranisch, Sönke Andresen, Kamera: Dennis Pauls, Schnitt: Milenka Nawka, Federico Neri, Kjell Peterson, Musik: Martina Eisenreich, Produktion: Studio TV Film, Verleih: arte-Mediathek, Besetzung: Lorenzo Germeno (Jannik), Anh Khoa Tran (Tai), Thorsten Merten (Jens Lamprecht), Christina Große (Claudia Gieseking), Devid Striesow (Janniks Vater), Alwara Höfels (Janniks Mutter), Yung Ngo (Tais Vater), Kathrin Angerer (Lamprechts Ex-Frau), Jonathan Kempf (Concierge Thommy),Leander Lesotho (Cousin Jasper), Sidney Fahlisch (Melanie)

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