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Erdmännchen und Mondrakete

Im Kino: Ein Coming-of-Age-Film mit Fantasyelementen aus Südafrika.

Das alte lateinische Sprichwort „nomen est omen“, dass also der Name bereits eine Menge über die betreffende Person aussagt, wird für die 13-jährige Gideonette de La Rey aus Südafrika zu einer Belastung, an der sie zu zerbrechen droht. Nicht jedoch, weil der Name von einem männlichen Ahnen abgeleitet wurde und für ein Mädchen mitten in der Pubertät nicht gerade schmeichelhaft ist, sondern weil auf diesem ein Fluch lasten soll, der alle Familienmitglieder dahinrafft. Nachdem der geliebte Vater, der ihr geschworen hatte, sie immer zu beschützen, plötzlich und unerwartet gestorben ist und die Mutter seelisch angeschlagen einen längeren Klinikaufenthalt benötigt, glaubt Gideonette fest daran, dass sie als nächstes an der Reihe ist. Von Albträumen geplagt, sieht sie sich von großen Erdmännchen bedroht, die sie mit ihren riesigen Wurzeln bald verschlingen werden. Da sich sonst niemand um sie kümmern kann, wird sie vorübergehend zu den Großeltern mütterlicherseits aufs Land geschickt. Diese kümmern sich liebevoll um ihre Enkelin, verbergen ihr aber etwas und bringen es nicht über das Herz, mit ihr darüber zu reden. So verkriecht sich das verschreckte Mädchen immer mehr und beobachtet hinter den Gardinen den schwarzen Nachbarsjungen Bhubesi, der gehörlos ist und offenbar davon träumt, Astronaut zu werden. Mit Hilfe von Gideonettes Großvater hat er eine riesige Mondrakete aus Schrott und Holz gebaut, mit der er demnächst in den Himmel fliegen möchte. Dank seiner fröhlichen Unbekümmertheit gelingt es Bhubesi, das Mädchen auf andere Gedanken zu bringen. Doch als Gideonette erfährt, wie ihr Vater wirklich gestorben ist, gerät sie in Panik und weist Bhubesi von sich. Am nächsten Tag wird der Junge von einem Krankenwagen abgeholt. Gideonette ist davon überzeugt, dass das mit dem Fluch zu tun haben muss. Bhubesi allerdings wusste schon lange, dass er bald sterben würde und es liegt nun an Gideonette, sich endlich ihren Ängsten zu stellen.

Trotz internationaler Netzwerke gehört mitunter auch eine Portion Glück dazu, wenn ein eher kleiner Film von der einen Seite der Welt auf einem weit entfernten Festival läuft. So geschehen bei diesem Film aus Südafrika, den das Schlingel-Festival in Chemnitz fast durch Zufall entdeckte und der mit gleich drei Auszeichnungen zum erfolgreichsten Film des Festivaljahrgangs 2018 wurde. In ihrem zweiten Spielfilm gelingt es der in Südafrika geborenen Filmemacherin Hanneke Schutte, drei Genres geschickt miteinander zu verbinden, eine Coming-of-Age-Geschichte, in der es auch um Trauer und Tod geht, einen Horrorfilm, der bekanntlich häufig mit den Verlustängsten von Jugendlichen auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben zu tun hat, und eine Fantasy-Geschichte über mythische Wurzelwesen. Diese erinnern ein bisschen an die Erdmonster aus „Wo die wilden Kerle wohnen“ (2009) von Spike Jonze, obwohl die literarische Vorlage zum Film in diesem Fall von der südafrikanischen Autorin Riana Scheepers stammt. Logisch-dramaturgisch weist das Werk von Hanneke Schutte zwar einige Schwächen auf, insbesondere wenn das Geheimnis um den Familienfluch gelöst wird, der nicht nur in Gideonettes Kopf existierte, sondern von einer ganzen Reihe anderer Menschen geteilt wurde. Aber das fällt nicht weiter ins Gewicht dank der beiden jungen Hauptdarsteller*innen, denen es gelingt, trotz des bevorstehenden Todes einen umwerfenden Charme zu versprühen wie Bhubesi, beziehungsweise Gideonettes Ängste vor den Erdmännchen glaubwürdig zu vermitteln – für Hauptdarstellerin Anchen du Plessis übrigens eine sehr anstrengende Dreherfahrung. Zugleich besticht der Film durch seinen ungewöhnlichen Inszenierungsstil und eine hervorragende Kameraarbeit, die Licht und Schatten inmitten einer abgeschiedenen Natur gekonnt zu nutzen weiß, um Stimmungen zu erzeugen, beklemmende, warmherzige und ergreifende gleichermaßen.

Holger Twele

Diese Kritik wurde zum ersten Mal anlässlich der Aufführung im Rahmen des Filmfestivals Schlingel 2018 veröffentlicht.

© Landfilm
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Spielfilm

Meerkat Mantuig - Südafrika 2017, Regie: Hanneke Schutte, Festivalstart: 02.10.2018, Kinostart: 15.07.2021, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 12 Jahren, Laufzeit: 88 Min. Buch: Hanneke Schutte, nach dem Buch „Blinde Sambok“ von Riana Scheepers. Kamera: Willie Nel. Schnitt: Warwick Allan. Musik: Clara Vandeleur. Produktion: André Scholtz, Dries Scholtz. Verleih: Landfilm. Darsteller*innen: Anchen du Plessis (Gideonette), Rika Sennett (Oma Koekie), Pierre van Pletzen (Opa Willem), Themba Ntuli (Bhubesi), Hanlé Barnard (Mathilda) u. a.

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