Mein Lotta-Leben – Alles Tschaka mit Alpaka
Im Kino: Ausgelassene Ferienfantasie um die unangepasste, manchmal einen Tick zu selbstbewusste Lotta Petermann.
„Oh, ich bin’s wieder“, sagt Lotta Petermann erstaunt, als sie beim Rucksackpacken direkt in die Kamera schaut und uns, ihre Zuschauer*innen, entdeckt. Dabei ist die elfjährige Lotta längst daran gewöhnt, dass sie ständig mit ihrem Publikum redet, entsprechend ist auch die Fortsetzung von „Mein Lotta-Leben – Alles Bingo mit Flamingo!“ (2019, Neele Leana Vollmar) wieder eine Art Offline-Blog, in dem Lotta ihre Gedanken und Gefühle mitteilt. Diesmal fallen ihre fröhlichen Yeets ein wenig leiser aus: Irgendwie ist Lotta von Beginn an genervt, von den tropfnassen Socken auf der Wäschespinne, die nie gemeinsam (ab-)hängen wollen, bis zu ihren Eltern, die doof, nervend und total peinlich sind.
„Na ja, ich hau dann jetzt mal ab“, seufzt Lotta, und so geht es auf die Nordseeinsel Amrum. Nicht nur Lotta, auch ihre beste Freundin Cheyenne, die eingebildeten (G)Lämmer-Girls, die selbstgefälligen Rocker und die strenge Klassenlehrerin Frau Kackert sind dabei, hinzukommen noch Cheyennes schlagfertige jüngere Schwester Chanell, der neue Mitschüler Rémi aus Frankreich – und Lottas Vater, der in letzter Sekunde als Begleitperson einspringt. Was wieder voll peinlich ist! Rémi macht Lotta schöne Augen und raspelt mit charmantem Akzent Süßholz, und das nur, weil Lotta „Du bist ja ein ganz, ganz Süßer“ gerufen hatte, womit aber der afghanische Windhund von Rémis Mutter gemeint war. Derweil startet Vater Rainer begeistert Vertrauensspiele, um Kameradschaft und Zusammenhalt zu fördern.
Lottas zweites Kinoabenteuer nach den Comic-Romanen von Alice Pantermüller verarbeitet Handlungsteile aus den Büchern „Und täglich grüßt der Camembär“, in dem Rémi erstmals auftaucht, und „Kein Drama ohne Lama“, in dem es auf Klassenfahrt in ein Landschulheim geht. Ansonsten gibt es manch eigene Filmidee, wobei der Film im Vergleich zum ersten Teil beim Erzähltempo einen Gang runterschaltet und weniger auf kurze Episoden als auf eine halbwegs stringente Handlung setzt – wohlgemerkt halbwegs, denn der Film bewahrt sich gottlob seine fröhlich abgedrehte Erzählweise, zu der wieder die pfiffigen Zeichnungen von Daniela Kohl gehören, die wie die Bücher auch die Kinobilder aufmüpfig und frech schmücken, mal als lustige Sprechblasen oder pulsierende Liebesherzchen, mal als Reisewegbeschreibung oder Spinnennetz.
Sichtlich älter geworden (fast schon ein wenig zu alt) sind die Mädchen erneut die vertraut liebenswerten, schrägen, fröhlich drauflos plappernden Nervensägen aus den unterschiedlichsten sozialen Lebenswelten, für die es nun um Tampons, Pubertät und Knutschen geht. Dass der Film damit auch das Thema Menstruation anspricht, ist durchaus bemerkenswert, spielte dies bislang in so genannten Mädchenunterhaltungsfilmen kaum eine Rolle. Hier zeigt sich der Film ebenso unverblümt offen und unverkrampft wie im Übrigen auch im Gebrauch einiger derberer Wörter – sowie der genüsslich ausgespielten Episode, in der Lotta wegen Rémis „Camembär“-Brot kotzen (Entschuldigung!) muss. Wie im ersten Film gibt es erneut auch einige eher tiefergelegte Witze, etwa wenn Lottas Vater naiv über Vögel „doziert“, was man, je nach Geschmack, als unpassend oder als triviale Freude am Unangepassten empfinden mag.
Für die vielen Turbulenzen bietet Amrum eine prächtige Kulisse mit Insel-Flair, Leuchtturm, weitem Kniepsand, einer (durchaus gefahrvollen) Wattenmeer-Wanderung und der schaurig-schönen Sage der nordfriesischen Gonger, die Anlass für nächtliche Entdeckungstouren mit leichtem Gruselfaktor ist. Dabei geht es um die Suche nach Channell, die spurlos verschwindet, nachdem Lotta sie beleidigt hat. Und da zeitgleich die Mär um ein anderes, bereits früher verschwundenes Mädchen die Runde macht, werden die bislang rivalisierenden Kinderbanden zur Solidargemeinschaft, die durch die dunklen Gänge der Jugendherberge streift. Über die Korridore aber wacht Frau Kackert als weiblicher Severus Snape, brillant gespielt von Sarah Hostettler als überstrenge, exzentrische Harpyie, der dennoch am Ende ein warmes, angesichts des gemeinschaftlichen Handelns ihrer Klasse sogar stolzes Lächeln entweicht.
Insgesamt werden die Inselferien zum wohligen Filmerlebnis, bei dem die Freude am Über-die Stränge-schlagen über einige kleinere Durchhänger hinweghilft und es deutlich um Themen wie Freundschaft und Zusammenhalt geht. Alpakas kommen zwar nicht vor, dafür aber zwei Lamas, doch „Alles Tschaka mit Lama“ klingt einfach doof, wie Cheyenne feststellt. Am Ende mündet der Film in eine grandiose Abschlussparty auf dem weiten Strand und in einen hinreißenden Schlusssong, an dem sich alle mit ihren sympathischen Macken und Schrullen beteiligen. Ach ja, und Lottas Flöte schafft es dann auch noch auf die Insel.
Horst Peter Koll
Mein Lotta-Leben – Alles Tschaka mit Alpaka - Deutschland 2022, Regie: Martina Plura, Kinostart: 18.08.2022, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 10 Jahren, Laufzeit: 88 Min. Buch: Bettina Börgerding, nach den Kinderbüchern von Alice Pantermüller und Daniela Kohl (Illustrationen). Kamera: Monika Plura. Musik: Markus Aust, Helmut Zerlett. Schnitt: Wiebke Henrich. Produktion: dag*star/Lieblingsfilm/Senator/ZDF/Wild Bunch. Verleih: Wild Bunch. Darsteller*innen: Meggy Marie Hussong (Lotta Petermann), Yola Streese (Cheyenne Wawrceck), Levi Kazmeier (Paul), Timothy Scannell (Rémi), Oliver Mommsen (Rainer Petermann), Katia Fellin (Christina) u. a.