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Geschichten vom Franz

Im Kino: Der neunjährige Franz will ein „richtiger Mann‟ werden in dieser gelungen modernisierten Nöstlinger-Adaption.

Christine Nöstlinger (1936-2018) hat viele großartige Kinder- und Jugendbücher geschrieben, fast ebenso oft erhielt sie dafür bedeutende Auszeichnungen, etwa den Astrid-Lindgren-Gedächtnis-Preis. Viele ihrer Geschichten wurden verfilmt, darunter „Die 3 Posträuber“ (Andreas Prochaska, 1998), „Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“ (Hark Bohm, 1976), „Villa Henriette“ (Peter Payer, 2004) und „Rosa, das Schutzgespenst“ (Véra Plívová-Simková, Drahomíra Králová, 1994), vor allem auch ihre eigenen Kindheitserinnerungen „Maikäfer, flieg!“ (Mirjam Unger, 2016), in denen sie auf ihre Erlebnisse als Neunjährige im Wien nach Kriegsende 1945 zurückblickt. Selbst in jener unwägbaren Zeit zwischen Zerstörung und Verlust bewahrte sich das Mädchen Christine seinen fröhlichen Lebensmut, den später auch die erwachsene Autorin Christine Nöstlinger ihren wunderbaren Buchfiguren mit auf den Weg gab: lebensklug und warmherzig, humorvoll und einfühlsam, aufmüpfig und herrlich widerständig im Kampf gegen Autoritäten, Vorurteile und Benachteiligungen von Kindern.

Auch Franz Fröstl ist neun Jahre alt, genauer gesagt: neun Jahre und zwei Monate, aber vom strahlenden Optimismus der selbstbewussten Christine seines Alters hat er nur wenig. Dabei ist Franz ein aufgeweckter, intelligenter und liebenswerter Wiener Junge, der nur seine Stärken noch nicht (er-)kennt. Das wiederum ist auch gar nicht leicht, wenn man so zierlich ist wie er, immer ein Stück kleiner als die Mitschüler*innen und sich selbst vom besten Freund Eberhard tröstend sagen lassen muss: „Du bist halt zu schön für einen Bub!“ Was Eberhard, der Franz stets in Schutz nimmt und ihn gegen jede Art von Anfeindung verteidigt, nicht böse meint. Auch Gabi, Franz‘ allerallerbeste und allerklügste Freundin, ermutigt ihn. „Du bist gut und richtig, wie du bist“, sagt sie. Und: „Ich kenne niemanden, der so gut franzt wie du.“

Franz aber ist genervt. Hinzu kommt, dass er mit seinem blonden Locken tatsächlich wie ein Mädchen aussieht, und dass es ihm wortwörtlich die Stimme verschlägt, wenn er in Panik verfällt. Dann bekommt er nur ein helles Piepen heraus, was besonders fatal ist, wenn man seinem Mathematiklehrer erklären muss, warum man keine Hausaufgaben vorzeigen kann, weil das Heft nass wurde, weil man den Deckel der Trinkflasche nicht ordentlich verschraubte, weil der Vater beim Frühstück zu fürsorglich war, weil Gabi so drängte, weil … Nein, so geht es nicht weiter, sagt Franz, und als er eines Tages seinem großen Bruder Josef über die Schulter schaut und auf dessen Laptop den vor Selbstbewusstsein strotzenden Influencer Hank Haberer entdeckt, wird es ihm klar: Franz muss ein „richtiger Mann“ werden! Stark und rücksichtslos, wie es Hank Haberer fordert, der predigt: „Sei nicht nett, sondern selbstbewusst, übernimm die Kontrolle, wenn du einen Raum betrittst!“ Franz ist begeistert. Fortan befolgt er die „Simply-Hank-Gesetze“, womit der Schlamassel erst richtig los geht.

Christine Nöstlingers „Geschichten vom Franz“ erschienen in 19 schmalen Bänden zwischen 1984 und 2011 und begleiteten Franz Fröstl vom Kindergarten bis in die zweite Schulklasse. Nun wurde aus dieser Sammlung kleiner Franz-Geschichten ein kompakter Spielfilm, der zwar manches aus den Büchern übernimmt (etwa das durchnässte Schulheft), vieles aber neu erfindet. Wundersamerweise funktioniert dies sehr gut, ohne Christine Nöstlinger zu „verraten“. Eher ist das Gegenteil der Fall: Der modernisierte, ganz in der Gegenwart verankerte Film atmet viel vom typischen „Franz-Flow“ mit seiner lakonisch-knappen Ironie und der genau richtigen Portion an Wiener Schmäh. Zugleich verhandelt er leichthändig, nie aber leichtfertig Themen, die heutige Kinder umtreiben: die Bedeutung von Freundschaft, die schwierige Suche nach einem Selbstbild, der Wert von „Tugenden“ wie Aufrichtigkeit, Respekt und Mitgefühl.

Ebenso wichtig wie Franz wird dabei Gabi, die eine Zeit lang Franz‘ oft hinreißend komischen Weg zum „ganzen Kerl“ nachsichtig begleitet und ihn sogar organisiert, dann aber aus Franz‘ neuem Weltbild gnadenlos herausfällt und sich traurig von ihrem Freund abwendet. So kommt gegen Ende sogar etwas Spannung auf, wenn Gabi ausreißt („Vielleicht nach Timbuktu oder Bayern“, schreibt sie in ihrem Abschiedsbrief) und Franz sie in jenem finsteren Keller findet, den er zuvor wegen einer Mutprobe nicht betreten wollte. Doch auch dieses moderat aufregende Finale fügt sich ganz in die entspannte Erzählweise ein: Tadellos inszeniert, bravourös gespielt von den Kindern wie auch den Erwachsenen, die bemerkenswert charaktervoll gezeichnet sind, unaufdringlich und betont unspektakulär erzählt, entwirft der Film eine fast normale Alltagswelt fern von jedem Fantasy-Schnickschnack, frei von Glücksdrachen und Zauberstäben. Christine Nöstlinger hätte der Film gewiss gefallen. „Um zu wissen“, schrieb sie einmal, „was ihr laut schreien sollt, um zu wissen, wofür ihr kämpfen solltet, um zu wissen, wo ihr mit dem Verändern anfangen sollt, können Bücher eine Hilfe sein, die ihr von sonst niemandem bekommt.“ Manches davon hat auf den Film abgefärbt.

Horst Peter Koll

 

© Wild Bunch
7+
Spielfilm

Geschichten vom Franz - Österreich, Deutschland 2022, Regie: Johannes Schmid, Kinostart: 14.04.2022, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 7 Jahren, Laufzeit: 78 Min. Buch: Sarah Wassermair, nach Motiven der gleichnamigen Kinderbuchreihe von Christine Nöstlinger. Kamera: Matthias Grunsky. Musik: Toni Dobrzanski. Schnitt: Karin Hammer. Produktion: Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion, if… Produktion. Verleih: Wild Bunch. Darsteller*innen: Jossi Jantschitsch (Franz Fröstl), Nora Riedinger (Gabi), Leo Wacha (Eberhard), Ursula Strauss (Franz‘ Mutter), Simon Schwarz (Franz‘ Vater), Philipp Dornauer (Hank Haberer), Rainer Egger (Lehrer Zickzack), Brigitte Kren (Erzählerin) u. a.

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