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Abenteuer Rom

Entdeckt in München und Frankfurt: Ein elfjähriges Mädchen flieht allein nach Rom und findet dort mehr als nur eine neue Freundin.

Wie kommt ein elfjähriges Mädchen aus der ländlich geprägten Toskana dazu, sich allein in einen Zug nach Rom zu setzen, um die Großstadt kennenzulernen, die schon immer ihr großer Traum gewesen ist? Zumindest diese Ausgangslage des Debütspielfilms von Sandra Vannucchi beruht auf realen Ereignissen der Regisseurin, die sie als Kind selbst erlebt hat. Im Film ist es die elfjährige Silvia, deren Mutter unter schweren Depressionen leidet, die sie nahezu handlungsunfähig machen und ans Bett fesseln. Auch der Vater ist von dieser Situation, die die ganze Familie stark belastet, überfordert und in Silvia keimt gar der Verdacht auf, sie werde von ihren Eltern nicht mehr geliebt. Aus dem ihr lange versprochenen Ausflug nach Rom wird offenbar auch nichts. Sie fasst daher den Entschluss, alleine nach Rom zu fahren und eine persönliche Auszeit zu nehmen.

Auf der Zugfahrt begegnet Silvia dem 13-jährigen Roma-Mädchen Emina, das auf Silvia sehr selbstbewusst und erfahren wirkt. Emina lebt in einem Roma-Camp bei Rom und ist zunächst keineswegs begeistert, dass sich Silvia an ihre Fersen heftet. Doch schon bald freunden sich die beiden ungleichen Mädchen an und Silvia lernt mit Eminas Hilfe eine so faszinierende wie unbekannte Welt kennen, in der zwar viele Gefahren drohen, aber auch eine Herzlichkeit und Lebensfreude zum Ausdruck kommt, die Silvia bisher nicht kannte und die ihr neues Vertrauen gibt.

Dem mit wenig Geld finanzierten, unabhängig produzierten Roadmovie gelingt es, vor der Folie einer Coming-of-Age-Geschichte und der Freundschaft zweier gegensätzlicher Charaktere gleich zwei schwierige Themen so umzusetzen, dass sie für ein junges Publikum gut nachvollziehbar und geeignet sind, gängige Vorurteile zu hinterfragen, Verständnis und Empathie zu wecken. Das betrifft sowohl die Situation von Kindern mit einem psychisch erkrankten Elternteil als auch die schwierigen Lebensbedingungen des nichtsesshaften Volks der Roma. Diese werden nicht nur in Osteuropa, sondern beispielsweise auch in Italien oft zu Außenseiter*innen und leben in einer Parallelgesellschaft unter meistens nicht selbst verschuldeten ärmlichen Verhältnissen.

„Abenteuer Rom“ wurde in einem echten Roma-Camp und mit Ausnahme von Silvias Eltern mit Laiendarsteller*innen gedreht. Die dafür erforderliche Vertrauensbasis spiegelt sich vor und hinter der Kamera und trägt den gesamten Film. Sie ist bereits in den Namen der beiden Mädchen angelegt, indem Silvia, die Unschuld „aus dem Walde“ sich mit Emina, „der Vertrauenswürdigen“ anfreundet. Den bis heute existierenden Vorurteilen, dass die Roma nur stehlen und betteln, aber nicht arbeiten wollen und sogar fremde Kinder kidnappen, setzt der Film ein wesentlich differenzierteres Bild entgegen. Die eigentlichen Gefahren, denen sich Silvia in der Großstadt ausgesetzt sieht, kommen nicht etwa von den Roma, sondern von Einheimischen, von einem älteren Pädophilen etwa, der Silvia in sein Auto locken möchte, oder von zwei Jugendlichen, die Anstoß daran nehmen, dass Silvia mit den Roma-Kindern betteln geht. Sie werden später einen Brandanschlag auf das Roma-Camp ausführen. Zum Glück begeht der Film aber nicht den Fehler, die Begegnung mit den Roma nur als Katalysator für Silvias Entwicklung zu nutzen. Denn auch Emina lernt wie bei einem echten Roadmovie noch viel dazu und möchte am Ende ihr vermeintliches Schicksal nicht mehr einfach akzeptieren, sondern für eine bessere Zukunft kämpfen.

Sehenswert ist der Film nicht nur in thematischer Hinsicht, sondern gleichermaßen durch die einfühlsamen und oft symbolisch aufgeladenen Bilder des 1970 in Sarajevo geborenen Kameramanns Vladan Radovic. Er hat schon wiederholt mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet, etwa in „Rot wie der Himmel“ (Cristiano Bortone, 2006), „Anime nere“ (Francesco Munzi, 2014) oder „Meine Tochter – Figlia mia“ (Laura Bispuri, 2018) – und das merkt man dem Film deutlich an, der sich voll auf die subjektive Perspektive der jungen Protagonistinnen und ihre Gefühlswelt einlässt. Diese Sichtweise macht den trotz aller Tragik stets optimistisch bleibenden Film besonders authentisch und vermeidet zugleich eine Überfrachtung mit den angedeuteten sozialen und politischen Konflikten. Zusammen mit zwei anderen Produktionen war „Abenteuer Rom“ 2018 für den EFA Young Audience Award nominiert.

Holger Twele

© Lucas
10+
Spielfilm

La Fuga / Girl in Flight - Italien/Schweiz 2017, Regie: Sandra Vannucchi, Festivalstart: 29.06.2018, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 10 Jahren, Laufzeit: 78 Min., Buch: Michael King, Sandra Vannucchi, Kamera: Vladan Radovic, Schnitt: Osvaldo Bargero, Luigi Mearelli, Musik: Marcel Vaid, Produktion: Ruedi Gerber, Michael King, R. Mike King, Besetzung: Lisa Ruth Andreozzi (Silvia), Emina Amatovic (Emina), Donatella Finocchiaro (Mutter Giulia), Filippo Nigro (Vater Pietro) u. a.

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