Encanto
Im Kino: Ein farbenprächtiges Musical über eine Familie, die nur an der Oberfläche perfekt ist.
Es ist einfach unfair. Jeder in der Familie von Maribel hat magische Fähigkeiten. Nur Maribel nicht. In jener Nacht, als auch ihre besondere Gabe offenbart werden sollte, war da hinter der Tür einfach – nichts. Sie sei nicht-besonders-besonders, sagt man deshalb freundlich. Aber wirklich tröstlich ist das nicht. Wer will schon Durchschnitt sein?
Wäre es nicht toll, wenn Maribel so stark wäre wie ihre Schwester Luisa? Oder überall Blumen zaubern könnte wie die hübsche Isabela? Oder sich in andere Menschen verwandeln könnte wie Cousin Camilo? Oder die Sprache der Tiere verstehen wie Cousin Antonio? Oder mit ihrer Kochkunst heilen wie ihre Mutter Julieta? Die durch und durch magische Welt der Großfamilie Madrigal aus dem kleinen Dorf in Kolumbien jedoch beginnt zu wanken, als immer mehr Risse im Haus auftauchen. Auch dieses ist eigentlich aus Magie entstanden. Aber warum geht es dann jetzt plötzlich kaputt? Und warum scheinen die anderen Familienmitglieder ihre Gaben zu verlieren? Vielleicht ist Maribel es, die nun ihre Familie retten kann.
Visuell ist dieser Animationsfilm aus den Disney-Studios eine Wucht. Die Farben leuchten, ja scheinen geradezu von der Leinwand zu springen. All dies passt wunderbar zu dem Schauplatz und den schwungvollen Musik- und Tanzszenen, denn auch dieser Disney-Film – es ist mittlerweile der 60. lange Trickfilm des Studios – ist ein Musical. Dass die Figuren sich dabei unglaublich elegant bewegen, muss man eigentlich gar nicht betonen. Bei Disney versteht man es einfach, Trickfiguren eine Seele einzuhauchen und sie zum Leben zu erwecken.
Aber es gibt auch Momente, die ein wenig düsterer sind. Schon gleich zu Beginn etwa ist zu sehen, wie die Familie Madrigal einst in einer Nacht- und Nebelaktion fliehen musste und bei dieser Flucht auch Maribels Großvater ums Leben kam. So gibt es durchaus viel Schatten in dieser Familie, wozu auch der verstoßene Onkel Bruno gehört, über den niemand reden will. Dass es auch in Superheldenfamilien allerlei zwischenmenschliche Probleme gibt, ist längst aus Filmen wie „Die Unglaublichen‟ (Brad Bird, 2004) bekannt, verleiht diesen oft einen schönen Twist und erdet die übermenschlich agierenden Figuren. Auch darum geht es bei „Encanto‟, wenn sich die magischen Gaben nur als schöner Schein erweisen – nur eben musikalisch und bunt verpackt.
Doch so schön dieser Film anzusehen ist, so bleibt doch ein etwas fader Beigeschmack. Irgendetwas fehlt – trotz eines schönen Schauplatzes, der ein Eigenleben führt und einer richtig tollen schrägen Nebenfigur. Die Handlung will einfach nicht so richtig mitreißen und schwankt ein wenig unentschlossen zwischen großem Drama und Slapstick. Aber andererseits ist es ja eigentlich auch ganz schön, davon zu erzählen, dass man keine magische Gabe braucht, um besonders zu sein. Und dass Familie auch mal anstrengend sein kann.
Stefan Stiletto
Encanto - USA 2021, Regie: Byron Howard, Jared Bush, Charise Castro Smith, Kinostart: 24.11.2021, FSK: ab 0, Empfehlung: ab 9 Jahren, Laufzeit: 102 Min. Buch: Charise Castro Smith, Jared Bush. Kamera: Alessandro Jacomini, Daniel Rice, Nathan Detroit Warner. Musik: Germaine Franco. Schnitt: Jeremy Milton. Produktion: Walt Disney Animation Studios, Walt Disney Pictures. Verleih: Disney
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