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Fünf Dinge, die ich nicht verstehe

Wenn man sich unverstanden fühlt, dann ist es egal, ob man in der Stadt oder auf dem Land lebt.

Ein deutschsprachiger Coming-of-Age-Film, der nicht in der (Groß-)Stadt oder zumindest im gutsituierten bürgerlichen Milieu spielt, sondern auf einem Bauernhof in Nordrhein-Westfalen am Rande des Ruhrgebiets, hat heute allein schon des Milieus wegen Seltenheitswert. Allzu oft wurde in den vergangenen Jahren das Stereotyp eines reichen Elternhauses ausgeschlachtet, in dem es den Jugendlichen materiell an nichts mangelt, die Kommunikation zwischen den Generationen aber gestört ist und es oft genug an Nestwärme fehlt. Die Frage bleibt, ob man in einer ländlich geprägten Umgebung vollkommen anders aufwächst und vor allem, ob es dann andere Konflikte etwa mit den Eltern, Geschwistern und Freund*innen gibt. Und hat die frische Landluft insbesondere auf einem Bauernhof etwa auch ihre Schattenseiten?

Für den auf einem solchen Bauernhof aufwachsenden, schätzungsweise 15-jährigen Johannes gibt es zumindest fünf Dinge, die er (noch) nicht versteht, wobei er die Schuld nicht bei sich, sondern bei den anderen sucht und ihnen enttäuscht vorwirft: „Ihr glaubt doch alle, ihr seid was besseres“. Er tut oft so, als wäre ihm alles egal, selbst wenn er das nur vortäuscht. Seine ohnmächtige Wut reagiert der Junge später beispielsweise in einer Unterkunft für Migrant*innen ab, die er gar nicht kennt, deren Mülltonnen er aber mit Füßen traktiert und mit der Spraydose auf der Grundstücksmauer ein „Verpisst euch!“ hinterlässt. Akzeptiert oder gar verstanden fühlt sich Johannes schon längst nicht mehr, zumal er zusammen mit dem älteren Bruder auf dem Bauernhof seines Vaters aushelfen muss und daher weniger Freizeit als die Klassenkamerad*innen hat. Der Vater wiederum ist mit der Erziehung seiner Kinder überfordert, nachdem die Mutter den Hof vor einiger Zeit auf Nimmerwiedersehen verlassen hat, ganz zu schweigen von den Anforderungen der modernen Agrarindustrie, in denen eine traditionelle Bewirtschaftung des Hofes zum Anachronismus geworden ist.

Wenigstens im Elternhaus hätte Johannes gerne die Anerkennung und Unterstützung, die er sich erhofft. Doch auch dort hat er schlechte Karten, vor allem gegenüber dem älteren Bruder. Der ist weitaus erfahrener und souveräner, kann besser zupacken und hat eine feste Freundin namens Rosa. Johannes versucht daher in einer Mischung aus Neugier, Verliebtheit und Widerstand, Rosa dem Bruder auszuspannen, zumal sie ihm scheinbar zu verstehen gab, dass sie ihn sympathisch findet. Zugleich zeigt er seiner einzigen bisherigen Verbündeten in der Klasse, mit der er seit seiner Kindheit befreundet ist, plötzlich die kalte Schulter. Wie sein Bruder möchte Johannes endlich den Jagdschein machen, um als vollwertiges Mitglied wenigstens an den Treibjagden teilnehmen zu können, die in der Gegend als gesellschaftliches Ereignis gelten. Das wird ihm jedoch vor den Augen der anderen Jäger vom Vater verwehrt, weil er stattdessen auf die Oma aufpassen soll. So holt er sich heimlich ein Gewehr aus dem Schrank des Vaters, um sich selbst auf die Jagd zu begeben, vermeintlich nach Wildkatzen, die unter strengem Artenschutz stehen.

Der in Ennepetal aufgewachsene Autorenfilmer Henning Beckhoff, der an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf studiert hat, erzählt in seinem Spielfilmdebüt von seiner Beziehung zur eigenen Heimat, die immer noch sehr lebendig von seinen Jugenderfahrungen geprägt ist. Gleichzeitig wurde der Stoff aber gemeinsam mit heutigen Jugendlichen aus Nordrhein-Westfalen entwickelt und zum Teil mit Laiendarsteller*innen umgesetzt, um auf diese Weise einen aktuellen und möglichst authentischen Eindruck von den Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens zu vermitteln. Über eine Zeit also, in der individuell betrachtet, „alles zum ersten Mal passiert“, die aber nicht abgelöst von der gesellschaftlichen Entwicklung insgesamt zu sehen ist. Gedreht ist der eher ruhig und lakonisch erzählte Film aus der subjektiven Perspektive von Johannes. Er kommentiert als Ich-Erzähler zugleich seine ambivalenten Gefühle und ist auf dieser Metaebene eindeutig gesprächiger als in der Alltagsrealität. Am Ende um viele Erfahrungen reicher geworden, kann er seine Sichtweise schließlich relativieren und mit den Worten zusammenfassen: „Wenn man jung ist, dann will man wissen wer man ist. Woher weiß man, was man will?“

Holger Twele

Die Kritik wurde nach der Aufführung bei den Hofer Filmtagen 2018 verfasst.

© Filmgalerie 451
15+
Spielfilm

Fünf Dinge, die ich nicht verstehe - Deutschland 2018, Regie: Henning Beckhoff, Festivalstart: 25.10.2018, Kinostart: 07.11.2019, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 15 Jahren, Laufzeit: 71 Min., Buch: Paula Cvjetkovic, Kamera: Sabine Panossian, Schnitt: Anna Mniya Katshunga, Emma Alice Gräf, Musik: Inma Galiot, Produktion: Henning Beckhoff, Verleih: Filmgalerie 451, Besetzung: Jerome Hirthammer (Johannes), Henning Flüsloh (Carsten), Peter Lohmeyer (Rainer), Michelle Tiemann (Marike), Victoria Schulz (Rosa), Anna Böttcher (Susanna) u. a.

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