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Kleiner Kämpfer

Entdeckt beim „Schlingel‟: Ein junger Russe will Sumo-Kämpfer werden – und seinen Vater in Japan wiedertreffen zu können.

Der Filmtitel ist Programm. Im Leben wird einem nicht alles geschenkt, schon gar nicht in Zeiten der Corona-Pandemie. Doch der Reihe nach. Der 13-jährige Vitya (Viktor) aus Russland hat nur ein Ziel in seinem Leben und das verfolgt er mit aller Kraft und gegen alle Widerstände. Sein Vater, ein Sportjournalist, der sich besonders für das japanische Sumo-Ringen interessierte, hat die Familie vor acht Jahren sang- und klanglos verlassen, um nach Japan zu gehen. Seitdem bereitet sich der großgewachsene korpulente, aber nicht wirklich dicke Junge für einen internationalen Wettkampf als Sumo-Ringer vor, um auf diese Weise nach Japan zu gelangen und seinen Vater wieder nach Hause zu holen.

Da seine Stärken weder im Englischunterricht geschweige denn in Mathe liegen, ödet ihn die Schule nur noch an. Das bekommt besonders der Mathelehrer mit seinem extrem langweiligen Unterricht zu spüren. Selbst der Schuldirektor weiß keinen Rat, wie er Vitya ohne Schulverweis noch beikommen kann. Bis eine neue Mitschülerin Vitya zeigt, dass sie ihm an schlagfertiger Frechheit mindestens ebenbürtig ist und dabei weitaus souveräner und charmanter wirkt als er. Das ungleiche Gespann macht einen Deal. Sie hilft ihm, mit viel Fantasie und Originalität an den russischen Vorentscheidungen zum Sumo-Turnier teilzunehmen und seine Schulleistungen zu verbessern, während er ihr als „Bodyguard“ zur Seite steht. Diese Form der Partnerschaft ist tatsächlich von Erfolg gekrönt, wobei unüberwindlich erscheinende Hürden erst noch zu überwinden sind. Schließlich ist die Konkurrenz selbst in dieser ungewöhnlichen Sportart noch groß und auch in Russland geht es nicht selten weniger um den Sport selbst als um lukrative Geschäfte samt Korruption. Kurz vor dem angepeilten Ziel passiert allerdings etwas, das niemand vorhersehen konnte. Aufgrund der Corona-Pandemie sind alle Grenzen plötzlich dicht, insbesondere die zu Japan. Vityas Traum zerplatzt wie eine Seifenblase – stellvertretend für eine ganze Generation.

So deutlich wie in diesem Film wurden der weltweite Lockdown und seine Auswirkungen auf Zukunftspläne und Hoffnungen der jungen Generation bisher kaum thematisiert, zumindest nicht im Bereich des Kinderfilms. Allerdings hat es hier tatsächlich die gesamte Filmcrew kalt erwischt. Das ursprüngliche Drehbuch war nur noch Makulatur und wie für Vitya im Film war der Corona-Blues angesagt. Doch ein kleiner Kämpfer gibt natürlich nicht auf und ein Drehbuch lässt sich umschreiben und mit einem neuen Ende versehen. Das kommt dann etwas überraschend, fügt sich allerdings gut in den Film ein und unterstreicht, dass der Film Mut machen will, für die eigenen Ziel zu kämpfen, und gleichzeitig äußerst amüsant und unterhaltsam ist.

Dass dieser beim Schlingel-Festival 2021 im Juniorfilm-Wettbewerb präsentierte Film beim jungen Publikum wie auch beim Fachpublikum gut ankam, liegt vor allem an den bestens gecasteten beiden Hauptdarsteller*innen, dem großen Jungen und dem zierlichen Mädchen, die beide gerne mal über die Stränge schlagen, aber an keiner Stelle auch nur ansatzweise unsympathisch wirken. Viel Sprachwitz und Situationskomik, etwa wenn Vitya sich einem den Berg hinabrollenden Eiswagen entgegenstellt, ein flotter Soundtrack und Comic-Elemente tragen ebenfalls dazu bei, dass man sich gut unterhalten fühlt, wobei das Milieu der Sumo-Ringer sowohl fasziniert als auch für zusätzliche Gags sorgt. In das Segment Kinderfilm bringt diese gegen den Strich gebürstete Identifikationsfigur auf jeden Fall frischen Wind. Und selbst das reichlich geschönte Bild eines modernen Russland wird relativiert, indem Außenseiter knallhart abserviert werden und oligarchisch agierende Geschäftsleute das Recht für sich allein in Anspruch nehmen. Da der Film den Sonderpreis des MDR erhielt, gibt es eine reale Chance, dass er in einer synchronisierten Fassung später auch in Deutschland zu sehen sein wird.

Holger Twele

 

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Spielfilm

Malenkiy woin / Little Warrior - Russland 2021, Regie: Ilja Jermolow, Festivalstart: 15.10.2021, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 12 Jahren, Laufzeit: 84 Min. Buch: Pawel Ruminow, Roman Melnikow, Sergej Bobsa. Kamera: Anton Drosdow-Stschastliwzew. Musik: Iwan Sinzow, Roman Wischnewski. Schnitt: Alexander Amirow. Produktion: Leopolis. Verleih: offen. Darsteller*innen: Ilja Sigalow (Vitya), Mascha Lobanowa (Gelya), Gen Seto (Masaru) u. a.