Kritiken > Filmkritik
Kritiken > Vorgestellt im Oktober 2021 > Uns geht‘s doch gut

Uns geht‘s doch gut

Entdeckt beim „Schlingel‟: Preisgekrönter Film über die Reise eines Jungen zu seiner im Sterben liegenden Mutter.

Eine kleine Pflanze im Topf, aus der später eine gelbe Blume hervorwächst, wird zum Symbol der Hoffnung für den neunjährigen Da-yi aus Südkorea. Die Pflanze hat er seiner Mutter geschenkt, die schon seit geraumer Zeit im Krankenhaus liegt. Wenn in einigen Monaten die Blume erblüht, so denkt er, wird die Mutter wieder gesund sein und nach Hause zurückkehren. Zunächst einmal bleiben Da-yi nur die regelmäßigen Besuche, die er selbst organisiert und alleine bewältigt. Die genaue Diagnose seiner Mutter wird nie genannt, aber offenbar weiß sie längst, dass sie bald sterben muss. Denn sie bittet Da-yis Stiefvater, den sie vor ihrer Erkrankung geheiratet hat und der nun hart arbeiten muss, um die Behandlung seiner Frau zu bezahlen, auf ihren Sohn später gut aufzupassen und für ihn zu sorgen. Da-yi ahnt von alledem noch nichts, aber natürlich belastet es ihn sehr, dass zu Hause weder der Stiefvater noch die Mutter für ihn verfügbar sind und er sich oft „mutterseelenallein“ fühlt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten läuft es in der neuen Schule immerhin deutlich besser und das nimmt dem deutschen (Festival-)Filmtitel etwas von seiner leichten Ironie, zumal dieser zweite Erzählstrang einen wesentlichen Teil der Handlung bestimmt. Da-yi findet in einem Jungen, der in der Klasse selbst leicht außen vor ist, und einem Mädchen, dem allerdings ein trennender Umzug bevorsteht, echte neue Freund*innen, auf die er sich verlassen kann. Der Klassenbeste allerdings, ein typischer Streber, der von seinen Eltern gnadenlos zu Höchstleistungen angetrieben wird, ist vorübergehend sein größter Widersacher, denn ohne besondere Anstrengungen liefert Da-yi die besseren Arbeiten und übertrumpft bei den Schulnoten das todunglückliche Muttersöhnchen spielerisch und ohne böse Hintergedanken.

Kaum ist die Blume erblüht und alles könnte sich dem harmonischen Happy End eines typischen Kinderfilms zuneigen, kommt es plötzlich hart auf hart und sehr realistisch. Der Mutter von Da-yi geht es immer schlechter, sie wird in ein anderes, sehr weit entferntes Krankenhaus verlegt, das man in Deutschland wohl als Sterbeklinik bezeichnen würde. Da-yi muss das und selbst die Adresse selbst herausfinden, niemand ist da, um es ihm zu erklären. Schnell reift bei ihm der Entschluss, der Mutter die „rettende“ Blume zu überbringen, die sie im ersten Krankenhaus zurückgelassen hatte. Seine beiden Freund*innen wollen ihn bei dieser abenteuerlichen Reise in für sie alle völlig unbekanntes Terrain begleiten – und sogar der reumütige Streber ist diesmal mit von der Partie. Kalt lassen werden diese Szenen gewiss niemanden.

Seinen ersten langen Spielfilm drehte der südkoreanische Regisseur Lee Ji-won komplett aus der Perspektive seines jungen Helden und der anderen Kinder, die ganz unspektakulär prägende Erfahrungen in ihrem Leben machen und eine ihnen noch fremde Welt in einer Mischung aus Neugier und Angst erkunden. Lange war sich der Regisseur nicht sicher, ob er den Film eher für Erwachsene drehen sollte oder für Kinder; in Südkorea wird er im Originaltrailer ab 9 Jahren empfohlen. Schließlich werden auch hierzulande die Meinungen auseinandergehen, ob die Thematik für Kinder nicht zu schwierig sei, ob sie sich das ansehen können und wollen. Mit seiner Länge von 108 Minuten ist der Film zweifellos etwas lang geraten für einen Kinderfilm, zumal die Geschichte in ruhigen Einstellungen und vielen Großaufnahmen erzählt wird. In formaler Hinsicht passt diese Erzählweise allerdings sehr gut zur Gefühlslage der Hauptfigur, die von Unsicherheit, vagen Hoffnungen und geduldigem Abwarten geprägt ist. Und dem Thema Freundschaft gewinnt der Film, der stark auf Gefühle setzt, ohne dabei melodramatisch oder überzeichnet zu wirken, ebenfalls neue Aspekte ab. Da ist es zum Glück ein klares Votum für diesen Film, dass ihn die Kinderjury in Chemnitz beim Schlingel-Festival 2021 als besten Kinderfilm auszeichnete, gerade weil er sich mit einem ernsten Thema beschäftigt, das im Kinderfilm nicht so häufig aufgegriffen wird und zeigt, „dass man auch die schwersten Hürden überwinden kann und dabei nicht allein ist“.

Holger Twele

 

© SCHLiNGEL-Archiv
9+
Spielfilm

Aideul-eun jeulgeobdqa / Kids Are Fine - Südkorea 2021, Regie: Lee Ji-won, Festivalstart: 15.10.2021, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 9 Jahren, Laufzeit: 108 Min. Buch: Lee Ji-won. Kamera: Son Jin-yong. Musik: Lee jin-ah. Schnitt: Son Yeon-ji. Produktion: Cinema Woollim. Verleih: offen. Darsteller*innen: Lee Kyung-hoon (Da-yi), Yoon Kyung-ho (Stiefvater), Sang-hee Lee (Mutter), Kyung-Hoon Lee, Si-wan Park u. a.