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Ein nasser Hund

Im Kino: Packende und radikale Literaturadaption über einen jüdischen Teenager, der seine religiöse Identität geheim hält.

Im Iran gibt es das antisemitische Sprichwort: „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“. So lautet auch der Titel des autobiografischen Romans von Arye Sharuz Shalicar, der seine Jugend als Jude unter Muslimen im Berliner Wedding verbrachte und heute mit seiner Frau und zwei Kindern in Israel lebt. Dieses Buch aus dem Jahr 2010 hat nun Regisseur und Drehbuchautor Damir Lukačević, bekannt durch „Heimkehr“ (2003), „Transfer“ (2010) und „Im Namen meines Sohnes“ (2015), verfilmt und dabei in der Jetztzeit angesiedelt. Es geht um den 16-jährigen Soheil, Sohn jüdischer Einwanderer*innen aus dem Iran, der gerade mit seiner Familie nach Berlin-Wedding gezogen ist.

Aufgewachsen im beschaulichen Göttingen findet Soheil sich in einem Kiez wieder, der von muslimischen Zuwanderer*innen geprägt ist. Schon bald wird er in einem Laden von jungen Arabern bedroht, weil er offen eine Kette mit dem Davidstern trägt. Er begreift, dass er in diesem Umfeld besser seine Identität verleugnen sollte. Sein Aussehen und seine iranische Herkunft erleichtern ihm dies, denn alle glauben, im Iran gebe es eh nur Muslime. Zunächst ist Soheil als Einzelgänger unterwegs, doch als waghalsiger Sprayer macht er dann auf sich aufmerksam und wird in einer Clique junger Araber aufgenommen. Und nicht nur aufgenommen, denn mit dem Anführer Husseyn entwickelt sich eine ganz enge Freundschaft. So eng, dass Husseyn seinen „ungläubigen Bruder“ sogar mit in die Moschee nimmt. Schließlich könnte Husseyn es nicht verkraften, wenn Soheil später in der Hölle landet und er nicht. Auf die Idee, dass es Gründe für den Atheismus seines Freundes gibt, kommt Husseyn nicht. Und der Schein trügt ja auch. Denn Soheil, der sich in der Clique beweisen will, tut sich besonders hervor, als ein Juwelierladen von „dreckigen Juden, die das meiste Geld im Land haben“ überfallen werden soll. Oder bei einem Kampf mit einer verhassten Gang aus Berlin-Kreuzberg, bei dem er deren Anführer mit einem Messer schwer verletzt. Doch dann verliebt sich Soheil in die junge Türkin Selma und sie entdeckt durch einen Zufall seine wahre Identität. Nach langen Gesprächen mit seinen Eltern, die ihm erzählen, warum sie als Juden nicht mehr im Iran leben konnten, will Soheil endlich zu seiner Herkunft stehen. Er outet sich in seiner Gang, nichtsahnend in welch gefährliche Situation er sich damit bringt.

Der 1966 in Zagreb geborene Filmemacher Damir Lukačević kam als Vierjähriger mit seiner Familie aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland. Er kennt sich aus in ethnischen Konflikten und thematisiert immer wieder in seinen Filmen die Frage von Identität und Heimat wie auch das schwierige Zusammenleben verschiedener Religionen und Kulturen. An diesem Projekt hat er seit dem Erscheinen des Romans gearbeitet. Lukačević war es wichtig, die jugendlichen Hauptrollen mit Laiendarsteller*innen zu besetzen. Deshalb castete er auf der Straße, in Schulen und bei türkisch-arabischen Gemeinden, die über Theatergruppen verfügen, und arbeitete dann mit den ausgewählten Jugendlichen in mehrmonatigen Improvisations-Workshops. Bei denen mussten übrigens alle Jugendlichen der verschiedensten Nationalitäten einmal in die Rolle des Soheil schlüpfen. Das Ergebnis hat sich gelohnt. So findet Damir Lukačević nicht nur für die Atmosphäre im berüchtigten Wedding unglaublich authentische, intensive Bilder, sondern die beiden Hauptfiguren einschließlich der Gangmitglieder agieren bemerkenswert realistisch und intensiv in ihrer Härte „Feinden“ gegenüber wie aber auch in ihrer rauen Herzlichkeit und Innigkeit, wenn es um die Familie und Freund*innen geht. Besonders die Szenen, in denen Soheil und Husseyn miteinander agieren, gehen regelrecht unter die Haut.

Schonungslos und bemerkenswert komplex beleuchtet Lukačević die Unversöhnlichkeit zwischen Juden und Moslems wie auch den alltäglichen Rassismus, der bei allen latent vorhanden zu sein scheint. So wird beispielsweise Soheil – allein wegen seines arabischen Aussehens – immer wieder im Jüdischen Gemeindehaus kontrolliert oder von seinem Lehrer plötzlich ganz anders behandelt, nachdem er sich als Jude geoutet hat. Oder es löst einen Skandal an der Schule aus, als Soheil das Wort „Jude“ an die Hauswand sprayt und deshalb ein antisemitischer Anschlag vermutet wird. Besonders nahe gehen aber die erste und letzte Szene des Films. Sie führen nach Nahost und machen deutlich, dass es für diese Konflikte offenbar keine oder zumindest keine einfachen Lösungen gibt.

Barbara Felsmann

 

© Warner
14+
Spielfilm

Ein nasser Hund - Deutschland 2020, Regie: Damir Lukačević, Kinostart: 09.09.2021, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 102 Min. Buch: Damir Lukačević, nach dem gleichnamigen Roman von Arye Sharuz Shalicar. Kamera: Sten Mende. Musik: Boris Bojadzhiev. Schnitt: Christoph Strothjohann. Produktion: Carte Blanche Film, Warner Bros., A Company Filmproduktionsgesellschaft. Verleih: Warner. Darsteller*innen: Doguhan Kabadayi (Soheil), Mohammad Eliraqui (Husseyn), Derya Dilber (Selma), Omar Antabli (Fadi), Samy Abdel-Fattah (Baris) u. a.

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