Prinz Charming
In der Geschichte um einen verfluchten Märchenprinzen treffen Popsongs auf Rollentausch und liebenswerte auf ärgerliche Ideen.
Das Offensichtliche vorab: Ja, die Figuren in diesem Computeranimationsfilm wirken etwas glatt, die Texturen undifferenziert und es fehlt den Bildern an Details. Aber dass „Prinz Charming“ als erste Produktion eines neuen Animationsstudios visuell nicht mit den Werken deutlich größerer und erfahrener Studios mithalten kann, verwundert nicht und wird zumindest teilweise von der Tonspur aufgefangen, denn die Mitarbeit populärer Musiker*innen ist integraler Bestandteil des augenzwinkernden Märchenmusicals. Mit Demi Lovato („Camp Rock“) oder Avril Lavigne zählen jugendaffine Stars zu den Originalsprecher*innen, der Gitarrist der Rockgruppe „Fall Out Boy“ steuert einen Pop-Hit bei, die australische Singer-Songwriterin Sia eine hübsche Ballade, die sie als „Halborakel“ eines menschenfressenden Waldvolks auch einsingt.
So wie sich bei diesem Orakel nur die Hälfte aller Prophezeiungen als richtig erweist, ist auch hier das Gesamtergebnis nur hälftig charmant — und hälftig heftig missraten, etwa wenn durch die Gestaltung des besagten Waldvolks rassistische Klischees aufgerufen werden. Überraschend clever ist hingegen das Grundproblem der Hauptfigur Prinz Philipp Charming: Ein Fluch bewirkt, dass ihn jede Frau augenblicklich für ihre große Liebe hält, weswegen er alle Frauen in seinem Königreich ungewollt in den Liebeskummer treibt und alle Männer in Rage bringt. Man könnte es auch so ausdrücken: Das Problem dieses Märchenprinzen ist das Übereinstimmen von wörtlicher und übertragener Bedeutung, denn der feststehende Ausdruck „Prince Charming“ bezeichnet eben nicht nur die adlige Märchenfigur, sondern auch jene idealisierte Vorstellung eines Partners, den Frauen (oder Männer) sich im realen Leben herbeisehnen und die dann durchaus für bittere Enttäuschungen sorgen kann. Als gestaltgewordene Projektionsfläche leidet nicht zuletzt der als „trophy boy“ besungene Prinz selbst, da er nicht zwischen Fluch und echten Gefühlen unterscheiden kann. Genau dies muss er aber dringend lernen, denn wenn er innerhalb der drei Tage bis zu seinem 21. Geburtstag nicht die wahre Liebe findet, wird der Fluch besiegelt und für immer der Liebeskummer im Königreich regieren.
Warum ihm eine prüfungsvolle Reise bei dieser Aufgabe helfen soll, bleibt ebenso schwer nachvollziehbar wie die Entscheidung, dass ausgerechnet eine frisch ertappte Diebin zur Unterstützung des Prinzen angeheuert wird. Als Mann verkleidet steht die mutige Abenteurerin Lenore dem Charmbolzen bei seiner Reise bei, was sich auch als äußerst notwendig erweist, denn der behütet aufgewachsene junge Mann musste sich noch nie zuvor einer Gefahrensituation stellen. Es folgt eine typische, dramaturgisch arg schematisch zusammengezimmerte Heldenreise, wobei eine böse Fee wie ein renitentes Springteufelchen an jeder Weggabelung der Geschichte aus dem Nichts auftaucht, um noch eine Hürde bis zum unweigerlichen Happy End aufzustellen. Doch die Verkehrung der für klassische Märchen typischen Rollenaufteilung, einige witzige Dialogeinfälle und die fünf Songs haben genügend Unterhaltungswert, um trotzdem über die kurze Laufzeit hinweg zu tragen. Wenn der König seinem Sohn schließlich bescheinigt, ein feiner Mann geworden zu sein — nicht etwa, weil dieser Heldentaten begangen hat, sondern weil er emotional gereift ist —, dann kann man den Film geradezu liebgewinnen — also zumindest so halb.
Natália Wiedmann
Charming - Kanada, USA 2018, Regie: Ross Venokur, Kinostart: 02.08.2018, FSK: ab 0, Empfehlung: ab 9 Jahren, Laufzeit: 85 Min., Buch: Ross Venokur, Schnitt: Rob Neal, Musik: Tom Howe, Produktion: John H. Williams, Patrick Worlock, Verleih: Splendid
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