Love, Simon
Eine schwule Liebesgeschichte, in der die sexuelle Orientierung endlich mal kein Problem für den Protagonisten ist.
Der Mensch lebt natürlich nicht von heißem Kakao allein — aber manchmal ist Kakao exakt das, was man braucht, um sich besser und emotional gestärkt zu fühlen. Kakao gelangt gewissermaßen an Stellen, wo der Detox-Gemüsesaft einfach nicht hinkommt. Und genauso braucht man manchmal eine realitätsenthobene Feelgood-Komödie, die man sich als utopischen Balsam auf die ein oder andere Wunde streicht und die daran erinnert, dass alles auch irgendwie besser sein könnte, obgleich sie die Frage nach dem „wie“ unbeantwortet lässt. „Love, Simon“ als eskapistische Teenager-Rom-Com im Hochglanzlook zu bezeichnen, ist daher nicht als Verriss zu verstehen, zumal der Film seine Sache sehr gut macht — und mit einer ordentlichen Portion Selbstironie gleich zu Beginn selbst deutlich ausstellt, dass er eine in rosa Zuckerwatte gepackte Welt präsentiert und diese Liebesgeschichte nicht an ihrem Realitätsgrad gemessen werden will.
„I’m just like you“, behauptet der von Nick Robinson gespielte 17-jährige Protagonist Simon, „for the most part my life is totally normal.“ Sein Vater war der unverschämt attraktive Quarterback, der die heiße Jahrgangsbeste geheiratet hat, erzählt der ebenfalls gutaussehende (weiße) Protagonist weiter, während er vor einem riesigen „Schöner Wohnen“-Prachthaus ein Auto geschenkt bekommt. Mit seiner gutaussehenden netten Clique (darunter immerhin auch zwei „persons of color“) trinkt er zu viel Eiskaffee, in der Schule scheint es auch rund zu laufen, er mag seine zuckersüße kleine Schwester, versteht sich gut mit seinen liberalen Eltern. Simons Aussage kann man wohl nur auf sich beziehen, wenn man ein ziemlich privilegiertes Leben führt — oder eben Protagonist*in einer Hollywood-Rom-Com ist.
Im Genre-Kontext ist Simons Leben tatsächlich ziemlich „normal“, bis auf einen kleinen, aber entscheidenden Unterschied: Simon ist schwul und hat noch niemandem davon erzählt, weder seinen besten Freund*innen noch seiner Familie. Als sich ein Schüler seiner High School auf einem Blog anonym outet und Simon ihn anschreibt, kann er zum ersten Mal offen über seine Gefühle und damit verbundene Erfahrungen sprechen. Unter Pseudonymen führen Simon und „Blue“ einen regen E-Mail-Austausch und Simon verliebt sich in den Schreibpartner. In der Schule hält er nun Ausschau nach Hinweisen auf die Identität von „Blue“, hofft mehrmals, diesen gefunden zu haben, nur um dann enttäuscht zu werden — so weit, so genrekonform. Der eigentliche Konflikt, der auf den dramatischen Wendepunkt hinführt, ergibt sich dadurch, dass Simons Mitschüler Martin sein Geheimnis entdeckt und nun dafür ausnutzt, um Simons Freundin Abby näherzukommen. Widerwillig spielt Simon für Martin den Kuppler, was auch bedeutet, dass er den Annäherungswunsch seines besten Freundes Nick durchkreuzt, der ebenfalls in Abby verliebt ist. Zwischen Simon und seinen Freund*innen erfolgt der obligatorische Tiefpunkt durch eben dieses „Selling out“, nicht durch ein „Coming out“. Deswegen landet man auch so wunderbar weich, wenn man sich für rund zwei Stunden in diese Zuckerwattenwelt fallen lässt: Weil es so erhebend ist, dass Simon zu keinem Zeitpunkt mit seiner sexuellen Orientierung hadert, weil er nach seinem (schließlich unfreiwilligem) Outing keine Zurückweisung in der Familie erlebt, in einem Moment der Diskriminierung beherzte Unterstützung erfährt und auch seine romantischen Gefühle schließlich erwidert werden.
Angesichts der positiven Reaktionen seines Umfelds stellt sich die Frage, warum Simon seiner Familie und seinen Freund*innen nicht früher von seiner sexuellen Orientierung erzählt. Simon selbst beantwortet das damit, wie unfair er es findet, dass nur Homosexuelle ein „Coming Out“ durchmachen müssen — erst die selbstverständlichen Annahmen, denen Simon begegnet, machen sein Schwulsein zu einem „Geheimnis“, das es zu wahren oder offenbaren gilt. Eine Montagesequenz mit fantasierten Szenen von Simons Freunden, die ihren Familien gestehen, heterosexuell zu sein, weiß die Lacher stets auf ihrer Seite, aber der Film greift dieses Thema schon viel früher auf: In einem Paradebeispiel für dramatische Ironie glaubt Simons Vater, einen „Bachelor“-Kandidaten im Fernsehen eindeutig als „one man pride parade“ identifizieren zu können, während er überhaupt nicht in Betracht zu ziehen scheint, dass auch sein eigener Sohn schwul sein könnte. Es gilt die Devise „straight until proven otherwise“ — die Herausforderung für Simon ist nicht, etwas aktiv zu verstecken, sondern einen Teil seiner Identität deklarieren zu müssen, damit sie überhaupt wahrgenommen wird. Das kostet auch in einem unterstützenden Umfeld Überwindung.
In Momenten wie diesem gelingt es „Love, Simon“ deutlich besser als Becky Albertallis Roman „Nur drei Worte“, auf dem der Film basiert, ein Gefühl für die Belastung zu vermitteln, die für Simon zum Alltag gehört, für seine Angst vor Zurückweisung. Greg Berlantis Adaption nach einem Drehbuch von Elizabeth Berger und Isaac Aptaker teilt den überwiegend leichten Tonfall der Vorlage, steigert ihren humoristischen Anteil sogar durch herrlich überzogene Nebenfiguren und punktgenau gesetzte One-Liner, die vor allem in der Originalfassung die erhofften Lacher bringen, zeichnet die zentralen Figuren aber glaubwürdig und feinfühlig genug, um in Momenten emotionaler Aussprachen wirklich zu berühren und der Zuckerwattenwelt einen Schuss Realismus beizumischen. Der Soundtrack rockt und das Happy End ist genauso „romantic as f“, wie Protagonist Simon es sich erhofft — da verzeiht man es gerne, dass die wenigen Kanten der Romanfiguren nochmal großzügig geschliffen wurden. Auch das bisschen Körperlichkeit des Romans entfällt nahezu, wohl aus strategischen Gründen, denn als erste Teenagerromanze eines großen Hollywoodstudios mit schwuler Hauptfigur zielt „Love, Simon“ nicht auf ein kleines, tendenziell erwachsenes Arthouse-Publikum ab, sondern auf die breite Masse, auf Teens und Pre-Teens, die sich den Film jenseits von Schulvorstellungen in ihrem Freundeskreis (oder gar mit ihrer Familie) freiwillig und immer wieder ansehen und die Simon bei seiner Suche nach „Blue“ die Daumen drücken — großartig, wenn das gelingt! Nicht zuletzt deswegen, weil es ein ziemlich weiter Weg war von den ersten LGBTIQ-Jugendgeschichten mit meist unglücklichem Ende bis zur Tagline „Jeder verdient eine große Liebesgeschichte“ eines hochbudgetierten und groß beworbenen Jugendfilms. Das macht es doppelt schön, bei Simons großer Liebesgeschichte ein paar Tränen zu vergießen, einige Seufzer auszustoßen und noch viel mehr Lacher.
Natalia Wiedmann
Love, Simon - USA 2018, Regie: Greg Berlanti, Kinostart: 28.06.2018, FSK: ab 0, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 110 Min., Buch: Elizabeth Berger, Isaac Aptaker, nach dem Roman "Nur drei Worte" von Becky Albertalli, Kamera: John Guleserian, Schnitt: Harry Jierjian, Musik: Rob Simonsen, Produktion: Marty Bowen, Wyck Godfrey, Isaac Klausner, Pouya Shahbazian, Verleih: Fox, Besetzung: Nick Robinson (Simon Spier), Katherine Langford (Leah Burke), Alexandra Shipp (Abby Suso), Jorge Lendeborg Jr. (Nick Eisner), Keiynan Lonsdale (Bram Greenfeld), Jennifer Garner (Emily Spier) u. a.
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