Junge Held*innen | | von Holger Twele

Das Schicksal in die Hand nehmen

Die Protagonistin in „Maydegol“ (Sarvnaz Alambeigi, 2024)

Kann eine 18-Jährige eine junge Heldin sein, wenn bereits ihr Name darauf verweist, dass sie eine „gebrochene Blume“ ist? Selbst dann, wenn sie am Ende nicht als große Siegerin dasteht und ein Teil ihrer Träume vorerst unerfüllt bleibt? Selbstverständlich ja, denn die Titelfigur im semidokumentarischen Film von Sarnaz Alambeigi verliert dabei nie die Hoffnung und zeigt ein bewundernswertes Maß an Resilienz.

Filmstill aus Maydegol
"Maydegol" (c) Berlinale Generation 2024

Welche Energie und was für eine Willenskraft in dieser jungen Frau steckt, wird bereits in den ersten Szenen des Films deutlich. Maydegol, der iranischen Kleiderordnung entsprechend stets bekleidet mit einem Hijab, klettert wütend auf das verschlossene Eingangstor einer Fabrik. Lautstark und mit schriller Stille fordert sie Einlass und eine Anstellung für einen Job, der nur für Männer da ist. Sie lässt sich vom unsichtbar bleibenden Pförtner selbst dann nicht abwimmeln, als dieser ihr mit der Polizei droht. Und das könnte für Maydegol böse Konsequenzen haben, denn sie ist eine afghanische Jugendliche, die mit ihrer Familie in den Iran geflohen ist und dort – nicht nur als Frau – so gut wie keine Rechte, geschweige denn einen gültigen Pass besitzt. Aber das erfährt das Publikum erst viel später, genauso wie ihren Herzenswunsch. Sie möchte eine professionelle Muay-Thai-Boxerin werden und trotz der Machtübernahme der Taliban 2022 wieder in ihre Heimat Afghanistan zurückkehren, auch um dort an einer Meisterschaft für Frauen teilzunehmen. Ein lebensgefährliches Unterfangen, denn die Taliban haben offenbar schon mehrere junge Frauen in ihrem Alter einfach erschossen, wie sie zu hören bekommt. Um sich das Geld für ihr intensives Box-Training zu verdienen, arbeitet sie heimlich von früh bis nachts, als Erntehelferin und in einer Champignonzucht, zudem als einzige Frau unter lauter Männern.

Als wäre das alles nicht schon zu viel, kann sie von ihrer in den Rollenbildern sehr konservativ eingestellten Familie kein Verständnis für ihre Träume auf eine bessere Zukunft erwarten. Sie sieht sich und ihre Mutter sogar unmittelbaren Gewalterfahrungen seitens des Vaters ausgesetzt. Das ist im Film allerdings nur auf der Tonspur zu hören und in einem gebrochenen Finger zu sehen, der im Krankenhaus geschient wird. Selbst von ihrem Trainer, der sie zusammen mit anderen jungen Frauen so gut wie möglich fördern und unterstützen möchte, erhält sie lediglich den Ratschlag, dem Vater auf jeden Fall zu gehorchen. Sie soll sich aber vor seinen Schlägen schützen, damit durch mögliche Verletzungen wenigstens das Training nicht gefährdet ist. In ihrem unbändigen Wunsch nach Veränderung und um ihr Ziel zu erreichen, würde sie schließlich „alles tun“, vielleicht sogar eine Scheinehe mit einem Fremden eingehen, damit sie einen Pass bekommt und frei reisen kann.

Solche Gedanken und ihre Naivität gegenüber den kruden gesellschaftspolitischen Entwicklungen in Afghanistan machen Maydegol nicht unbedingt immer sympathisch. Auch der Film vermeidet es konsequent, sie nur als Vorbild zu zeigen oder ihr gar ein Happy End zu gönnen. Dennoch steht sie stellvertretend für die zahlreichen Mädchen und Frauen im Iran, die es satt haben, immer nur (vergeblich) auf gesellschaftliche Veränderungen zu warten, und die ihr Schicksal und ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen wollen. Auf diesem langen Weg macht sie schließlich die Erfahrung, dass man im Leben nicht immer nur gewinnen kann. Noch viel wichtiger ist allerdings, nicht alleine zu kämpfen, sondern gemeinsam im Team – und Freundinnen an der Seite zu haben, die sie unterstützen.

Die Sympathien der jungen iranischen Malerin und Dokumentarfilmerin Sarnaz Alambeigi liegen in ihrem dritten langen Dokumentarfilm eindeutig bei Maydegol, deren authentischen Lebensweg sie über mehrere Monate hinweg begleitet hat. Das ist die vorgefundene und nicht inszenierte Realität. Bereits die Eingangssequenz mit der Suche nach einem Job macht deutlich, dass einige Szenen inszeniert oder nachinszeniert wurden, also allenfalls semidokumentarisch sind. Selbst wenn das für das Publikum nicht immer eindeutig zu entscheiden ist: An der Grundaussage des Films und an der Bewunderung für die junge Heldin ändert das nichts.

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