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Interviews | | von Barbara Felsmann

„Sehnsucht, die in Wut umgeschlagen ist‟

Interview mit Martin Busker über sein Langfilmdebüt „Zoros Solo‟

Schon in seinen Kurzfilmen „Herzhaft“ (2008), „Höllenritt“ (2008) oder „Halbe Portionen“ (2011) hat Martins Busker bewiesen, wie gut er über die Probleme und Konflikte seiner jungen Protagonist*innen erzählen kann. Im Mittelpunkt seines Langfilmdebüts „Zoros Solo“, das beim 30. Internationalen Filmfest Emden-Norderney seine Premiere feierte und dort sogleich mit dem Bernhard Wicki Preis in Gold sowie mit dem „NDR-Filmpreis für den Nachwuchs‟ ausgezeichnet wurde, steht ein unangepasster 13-jähriger Geflüchteter aus Afghanistan, der einem Chor beitritt, um bei einer Reise nach Ungarn seinen dort auf der Flucht gestrandeten Vater zu retten – und dabei mit der Chorleiterin aneinandergerät. Barbara Felsmann hat mit Martin Busker anlässlich des Kinostarts am 24. Oktober 2019 gesprochen.

"Zoros Solo" (c) NFP

Was hat dich zu dieser Geschichte gebracht?

Die erste Idee kam von der Produzentin Kathrin Tabler. Sie hatte einen Artikel im „SZ-Magazin“ gelesen, dass ein kurdischer Junge in Wien beim Singen auf der Straße vom Chorleiter der Wiener Sängerknaben belauscht und sofort zum Casting geschleppt wurde. Dieser Junge wurde dann später zu einem Star in diesem Chor. Das fanden wir spannend und wollten einen Film daraus machen. Wir hatten den Stoff für die Initiative „Der besondere Kinderfilm“ entwickelt, sind aber nicht ausgewählt worden und haben ihn dann erst einmal liegen gelassen. Das Problem war, dass der eigentliche Konflikt fehlte. Die Geschichte ist einfach zu schön, um wahr zu sein. Dann passierte 2015 die Flüchtlingskrise und ich habe den Riss, der plötzlich durch unsere Gesellschaft ging, in meinem Freundeskreis und in meiner eigenen Familie gespürt. Und ich dachte, dass es ein wichtiges gesellschaftliches Thema ist, wo wir Filmemacher aktiv werden müssen und das alles nicht unkommentiert lassen können. Mir war aber auch von Anfang an klar, dass ich – im Gegensatz zu den Nachrichten – einen Weg wählen muss, der unterhaltsam ist.

Die beiden Gegenspieler, Zoro und Frau Lehmann, geraten im Film in einen ziemlich heftigen Schlagabtausch voller Vorurteile. Dabei hat man das Gefühl, dass du den jeweiligen Seiten ziemlich genau „aufs Maul geschaut“ hast. Wie hast du recherchiert?

Ich habe ein halbes Jahr lang jede Woche in einem Jugendzentrum im Berliner Märkischen Viertel mit Leuten wie Zoro in einer Schauspielgruppe gearbeitet und dabei viel über diese Jugendlichen gelernt. Zum Beispiel ist mir aufgefallen, dass die Jugendlichen jeder Form von emphatischer Geste sofort wieder mit etwas Hartem entgegnen müssen, um bloß nicht den Eindruck zu erwecken, man sei schwach. Vor allem aber habe ich festgestellt, wie unfassbar verhärtet diese Jungs sind und wie viel Sehnsucht andererseits in ihnen steckt, die in Wut umgeschlagen ist. Das ist nicht ungefährlich und dies muss auch gezeigt werden. Ich wollte aber auch zeigen, dass sie ebenso die andere Seite in sich haben. Zoro hat einen Grund, warum er so geworden ist, und auch Frau Lehmann hat eine riesige Sehnsucht. Also da sind zwei Menschen von beiden Seiten des Erdballs, die sich gehasst haben, aber nun merken, dass sie sich brauchen, um Wurzeln zu schlagen. Das ist zwar eine recht märchenhafte Botschaft, aber da wollten wir hin.

Natürlich wollte ich den Konflikt auf die Spitze treiben. Doch ich habe bei der Recherche oft erlebt, dass Menschen, vor denen ich große Achtung habe, plötzlich solche drastischen Sätze heraushauen. Aus dem Nichts. Die Meinungen in Deutschland sind schärfer geworden, und das Schlimmste, was man in dieser Zeit machen kann, ist, Sachen zu verharmlosen oder medial glatt zu bügeln. Ich hab mich immer für Integration eingesetzt und sehe in der Flüchtlingskrise auf jeden Fall eine Chance, aber ich habe auch die Schattenseiten erlebt. Gerade dieser extreme Kontrast ist es, den ich mit meiner Arbeit überwinden möchte.

"Zoros Solo" (c) NFP

An Political Correctness, wie sie zurzeit in unserer Medienlandschaft praktiziert wird, hältst du dich ja nicht unbedingt in diesem Film. Was bedeutet sie dir?

Political Correctness ist für mich ein Werkzeug, das man sich gegeben hat, um die Gesellschaft zusammenzuhalten. Ich glaube aber, dass wir gerade einen Grad an Political Correctness haben, der eher gefährlich ist für unsere Gesellschaft. Ich bin ein relativ intelligenter Mann und gerate trotzdem oft in Situationen, wo ich mich frage: Wie sage ich das jetzt richtig, ohne jemanden auf die Füße zu treten? Ich befürchte, dass brennende Probleme und Konflikte in unserer Gesellschaft unter den Tisch gekehrt werden, unter der Oberfläche bleiben, wenn die Leute zu sehr aufpassen müssen, was sie sagen. Mit der Art der Dialoge in diesem Film möchte ich deshalb auch ein Gegensignal zu der in meinen Augen übertriebenen Political Correctness geben.

Wie hast du die Hauptdarsteller gefunden, warum hast du dich für sie entschieden?

Ich hatte eigentlich das Ziel, mit einem Flüchtlingsjungen zu arbeiten. Wir haben einen riesigen Castingaufruf gemacht, bei dem sich letztendlich ca. 500 Jungen beworben haben. Meine Erfahrung ist, dass auf 100 Bewerber in der Regel ein Talent kommt. Und so war es auch hier. Am Ende hatten wir fünf interessante Jungen, unter denen leider nur ein einziger Flüchtlingsjunge war. Dazu gab es ein organisatorisches Problem. Zoro ist 13 im Film, aber ich musste einen 15-jährigen Darsteller besetzen, damit wir acht Stunden am Tag drehen durften.

Am Ende habe ich mich für den Deutschtürken Mert Dincer entschieden, der im Casting am meisten überzeugt hat. Mert ist ein Profi. Er kannte immer seinen Text, war stets pünktlich, er hat einfach seinen Job gemacht und hatte einen Riesenspaß dabei. Das war also absolut die richtige Wahl. Man muss dazu sagen, dass Mert in Wirklichkeit der Musterknabe vor dem Herrn ist. Der liebste, anständigste und höflichste Mensch, den man sich vorstellen kann. Deshalb mussten wir viel üben, um diese Härte von Zoro reinzubekommen. Von der Tatsache, dass er noch die afghanische Sprache lernen musste, ganz zu schweigen.

An Andrea Sawatzki haben mein Ko-Autor Fabian Hebestreit und ich schon beim Drehbuchschreiben gedacht. Hauptsächlich weil sie diesen Spagat zwischen Komik und Tragik, zwischen intellektuellem Anspruch und Slapstick als eine der wenigen prominenten Schauspielerinnen perfekt verkörpert. Ich mag Frauen, die sich trauen, etwas Besonderes zu sein. Zwischen Mert und Andrea Sawatzki hat sich dann eine unglaubliche Spielfreude entwickelt. Und bei Laurids Schürmann als Julian waren wir uns sofort einig, weil er diese unglaubliche Subtilität hat. Eine echte Entdeckung. Er redet leise, hat wenig Mimik und Gestik und spielt dennoch in dieser Feinheit eine unglaubliche Tiefe. Er ist einfach ein schöner Gegenpol zu dem ständig explodierenden Zoro.

"Zoros Solo" (c) NFP

An wen richtet sich der Film und welche Zielgruppe hat der Verleiher im Blick?

Ich habe mir, als ich an diesem Film gearbeitet habe, keine Zielgruppe zurechtgelegt. Das ist ein Debütfilm und es ist ein großer Luxus für mich gewesen, dass mir weder von der Redaktion noch von der Filmförderung und dem Verleih Daumenschrauben angelegt wurden. Deswegen haben mein Ko-Autor und ich uns um Genrekonventionen und Zielgruppenbestimmung keine Gedanken gemacht, sondern wir haben einfach unsere Geschichte entwickelt. Es ist definitiv kein Kinderfilm. Es ist sowieso eine Unart, dass ein Film, in dem ein Kind die Hauptrolle spielt, automatisch als Kinderfilm bezeichnet wird. „Zoros Solo“ ist ab 12 Jahren freigegeben. Er richtet sich auch an junge Erwachsene, aber eigentlich kann den Film von einem Zwölfjährigen bis hin zu einer 95-Jährigen jeder schauen. Und wer mit dem Humor etwas anfangen kann, wird seine Freude haben.

Und der Verleih?

Der Verleih hat am Anfang gedacht, dass man diesen Film in die Kinder- und Jugendsparte bringen sollte, weil er von der Sprache her – ähnlich wie „Fack ju Göhte“ – sehr jugendlich und frech ist und von der Perspektive eines Jugendlichen aus erzählt wird. Allerdings konnte ich den Verleih davon überzeugen, dass es ein Film für Jung und Alt ist, für Leute, die Lust darauf haben, dass dieses Thema mal auf eine andere, sehr politisch-unkorrekte Weise erzählt wird. Und davon hat sich der Verleih überzeugen lassen, insbesondere nach einer erfolgreichen Testvorführung in Berlin mit der ganzen Altersbandbreite.

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